Russische Uhren
Doppel-Kloben (Anker-Rad, Sekunden-Rad) (G 3) - Unruh-Kloben (G 4)
Ausgehend von den Bildern werde ich im Folgenden die beiden Unterkapitel Doppel-Kloben (G 3) und Unruh-Kloben (G 4) gemeinsam abhandeln und die Unterschiede bei den fünf Uhrenfabriken, die die TYP 1 hergestellt haben, aufzeigen. Dabei werde ich auch auf den Unruh-Reif mit seinen Schenkel sowie die Anker-Brücke bzw. den Anker-Kloben eingehen. Die Bilder werde ich aber getrennt nach G3 und G4 kennzeichnen.
Der Doppel-Kloben(Bild 39, G3_1) hat sein Aussehen mehrfach verändert:
- mit verschraubten Chatons für die Lagersteine und der für die vordere Schraube erforderlichen "Nase" (15 Steine),
- mit eingepressten Chatons und "Nase (15 Steine),"
- ohne Chatons aber mit "Nase" (7 Steine),
- mit eingepressten Chatons ohne "Nase (15 Steine),"
- ohne Chatons und ohne "Nase" (7 Steine)
Bild 39, G3_1 |
Der abgebildete Doppel-Kloben ist aufgrund der Kriterien: ohne Chaton, mit Nase und dem erkennbaren Zierschliff eindeutig einem 7-steinigen Werk der 1. Staatlichen Uhrenfabrik aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre zuzuordnen.
Bei genauem Hinsehen kann man (Bild 40, G3_2) erkennen, dass die Bohrung für den Zapfen des Sekunden-Rades (links) größer ist als die für das Anker-Rad (rechts). Der Grund dafür ist einfach: Der Zapfen des Sekunden-Rades ist dicker als der Zapfen des Anker-Rades.
Bild 40, G3_2 |
Der Unruh-Kloben(Bild 41, G4_1) eignet sich für eine ungefähre Einordnung, sowohl zeitliche wie auch zur herstellenden Fabrik.
Bild 41, G4_1 |
Die Beschriftung an der Skala für den Rückerzeiger und die Position der Spiralklötzchen-Schraube waren bei der 1. Staatlichen Uhrenfabrik und in Slatoust wie auf der Abbildung. Dennoch können beide Kloben aufgrund der Art der Bohrungen für den Chaton und für seine beiden Schrauben eindeutig der 1. Staatlichen zugeordnet werden, da der obere Deckstein für die Unruh in Slatoust in einem Deckplättchen lag. Der obere Kloben ist ferner aufgrund des erkennbaren Zierschliffs eindeutig der 1. Staatlichen zuordnen.
1. Staatliche Uhrenfabrik (G3/4)
Folgende Kriterien sind bei allen TYP 1 aus der 1. Staatlichen Uhrenfabrik in Moskau identisch:
- Beschriftung an der Scala für den Rückerzeiger mit den beiden Buchstaben У (+) und П (-)
- Position der Spiralklötzchen-Schraube in einem Winkel von 90 Grad zum Rückerzeiger
- Breguet-Spirale
- Anker-Brücke
- Lagersteine in Messing-Chatons
7-steinige TYP 1 hat es nur mit dem Firmenlogo der 1. Staatlichen gegeben. Die vier anderen Fabriken haben nur 15-steinige TYP 1 hergestellt.
Bild 42, G3_3 |
Die frühen 15-steinigen TYP 1 (Bild 42, G3_3) waren noch weitgehend nach den Vorbildern aus Ohio. So stand die Typenbezeichnung ТИП 1 auf dem Sekundenrad-Kloben und die Kennung für die Steine 15 КАМНЕЙ auf dem Ankerrad-Kloben.
Die Lager-Steine für das Anker-, Sekunden-, Minuten- und Kleinbodenrad sowie die Lager- und Decksteine für die Unruh lagen in verschraubten Chatons. Im Unterschied zu hochwertigen Uhren von Dueber-Hampden mit Gold-Chatons verwendeten die Russen jedoch Messing für ihre Chatons.
Der Doppel-Kloben für Anker-Rad und Sekunden-Rad hatte eine "Nase", um die vorderen Schrauben für die Chatons aufnehmen zu können.
Die Hemmung hatte eine zwei-schenklige Kompensations-Unruh (aufgeschnittener bi-metallischer Unruh-Reif - innen Stahl, außen Messing - mit Gewichts- und Regulier-Schrauben)
Bei den frühen 7-steinigen TYP 1 (Bild 43, G3_4) stand die Typenbezeichnung ТИП 1 auf dem Anker-Kloben und die Kennung für die Steine 7 КАМНЕЙ auf dem Sekunden-Kloben. Die 7-steinigen mit dieser Beschriftung hatten keine "Nasen" am Doppel-Kloben.
Bild 43, G3_4 |
Spätere 7-steinige, bei denen die Beschriftung schon auf der Federhaus-Brücke stand, gab es mit und ohne "Nasen".
Die Lager- und Decksteine für die Unruh lagen auch hier in verschraubten Chatons. Und die Hemmung hatte ebenfalls eine Kompensations-Unruh.
Die ersten TYP1 aus der 1. Staatlichen ohne "Nase" gab es Ende 1938. Dennoch wurde sie bis Mitte 1939 beibehalten auch wenn sie keinerlei Bedeutung mehr hatte, weil die Chatons eingepresst und nicht mehr verschraubt waren.
Die schwierige Situation der russischen Uhrenindustrie ist immer wieder an Details erkennbar (Bild 44, H1_1). Diese 15-steinige Typ 1 aus dem 1. Quartal 1938 hat einen Unruh-Reif, der einige dieser Schwierigkeiten zeigt: Der bi-metallische Reif ist nicht aufgeschnitten. Damit ist es auch keine Kompensations-Unruh. Dafür wurde an den Schrauben solange Material abgefeilt, bis die geforderte Toleranz in der Ganggenauigkeit erreicht war.
Bild 44, H1_1 |
Ab Sommer 1940 wurden der obere (Werk-seitig) und der untere (Zifferblatt-seitig) Deckstein für die Unruh neu gefasst (Bild 45, S_1). Sie waren nicht mehr - zusammen mit den Lagersteinen - in dem oberen und unteren Chaton sondern - wie bei der 2. Staatlichen bereits ab 1936 - in einem eigenständigen verschraubten Deckplättchen.
Bild 45, S_1 |
Und ab Sommer 1941 hat die 1. Staatliche eine weitere technische Entwicklung der 2. Staatlichen (s.u.) übernommen und statt der Kompensations-Unruh einen mono-metallischen Unruh-Reif mit Schrauben eingesetzt.
TYP 1 aus der 1. Staatlichen, die vor den genannten Daten ein Deckplättchen oder einen mono-metallischen Unruh-Reif haben, sind entweder bei Reparaturen nachträglich damit ausgerüstet worden oder sie gehören zu Uhren, in denen - im Rahmen gegenseitiger Aushilfe bei Engpässen - Teile aus der 2. Staatlichen verarbeitet wurden.
Ab 1940 hatten auch die 7-steinigen TYP 1 (Bild 46, G3_5) keine "Nase" mehr, einen mono-metallischen Schrauben Unruh-Reif und den oberen und unteren Deckstein der Unruh in einem Deckplättchen.
Bild 46, G3_5 |
2. Staatliche Uhrenfabrik (G3/4)
Die 2. Staatliche Uhrenfabrik hat 1935 bereits 11.000 Uhren des TYP 1 aus Teilen der 1. Staatlichen montiert. Die Produktion dieses Kalibers mit eigenen Fabrikationseinrichtungen erfolgte ab 1936.
Folgende Kriterien sind bei allen TYP 1 aus der 2. Staatlichen Uhrenfabrik in Moskau identisch:
- Beschriftung der Scala für den Rückerzeiger mit den französisch/russischen Doppel-Buchstaben R У(+) und A П (-)
- Position der Spiralklötzchen-Schraube in Verlängerung des Rückerzeigers
- Breguet-Spirale
- Lagersteine in Messing-Chatons
- Deckstein der Unruh in einem Deckplättchen
- Anker-Kloben
- Doppel-Kloben nur ohne "Nase"
- nur 15-steinige Werke
In den ersten beiden Produktionsjahren hatte die TYP 1 aus der 2. Staatlichen die damals übliche Kompensations-Unruh (Bild 47, H1_2).
Bild 47, H1_2 |
Auch hier sind viele der Schrauben zur Feinjustierung angefeilt worden. Denn die 2. Staatliche hatte von Beginn an Probleme mit der Herstellung bi-metallischer Unruh-Reifen. Deswegen hat die Fabrik bereits 1937 mit Fachleuten aus der Metallindustrie zusammengearbeitet, um Legierungen für einen mono-metallischen Unruh-Reif zu entwickeln. Noch im selben Jahr, 1937, hat der Moskauer Stahlbetrieb "Serp und Molot" die Drähte geliefert.
K.N. Michailow schreibt dazu in seinen Aufzeichnungen:
"Im Sommer 1937 ist die Fabrik auf die Verwendung von mono-metallischen Unruhen für Taschenuhren umgestiegen. Nachdem der Draht für die Unruh bis zum notendigen Durchmesser gezogen war, ging er in die Walzhütte. Die Temperatur, bei der der Draht fixiert wurde, lag bei 800 Grad Celsius."
Der Übergang vom der bi-metallischen zum mono-metallischen Unruhreif dauerte etwa zwei Jahre. Erst von 1940 bis zum Produktionsende im vierten Quartal 1941 wurde nur noch der mono-metallische Unruh-Reif mit Schrauben verwendet (Bild 48, H1_3).
Ferner hat die 2. Staatliche ab 1940 keine Messing-Chatons mehr verwendet sondern die Lagersteine direkt in die Unterplatte, die Federhaus-Brücke und die beiden Kloben eingepresst.
Die 53er (G3/4)
Die enge Verwandtschaft zwischen der 2. Staatlichen und der "53er" zeigt sich auch in diesem Unterkapitel:
Die "53er" (Bild 49, G3_6 / G4_2) ist identisch mit der TYP 1 aus der letzten Produktion in der 2. Staatlichen mit der Ausnahme, dass die Lagersteine durchgängig in Messing-Chatons waren..
Bild 49, G3_6 / G4_2 |
Tschistopoler Uhrenfabrik (G3/4)
Für die TYP 1 aus Tschistoplol (Bild 50, G3_7 / G4_3) gilt das gleiche, was ich über die "53er" geschrieben habe. Sie ist - mit der dort genannten Ausnahme - ebenfalls identisch mit der TYP 1 aus der letzten Produktion in der 2. Staatlichen.
Bild 50, G3_7 / G4_3 |
In der Einleitung zu diesem Kapitel habe ich erwähnt, dass es in der Sowjetunion keine Seltenheit war, dass in einer Uhr Einzelteile oder ganze Baugruppen verschiedener Hersteller zu finden sind. Zwei davon möchte ich vorstellen:
Die TYP 1 aus Tschistopol mit einer bi-metallischen Schrauben-Unruh (Bild 51, H_4) ist wahrscheinlich das Ergebnis eines nachträglichen Eingriffs durch einen Uhrmacher, der möglicherweise noch Restkontingente aus der 1. bzw. 2. Staatlichen verwendet hat.
Bild 51, H_4 |
Bei der Tschistopol aus dem dritten Quartal 1948 (Bild 52, G3_8 / G4_4) ist eindeutig zu erkennen, dass ein Uhrmacher sie nach 1960 repariert hat:
Bild 52, G3_8 / G4_4 |
Der Doppel-Kloben stammt aus der 2. Hälfte der 1950er Jahre und der Unruh-Kloben aus der Zeit nach 1960. Der Unruh-Reif ist offensichtlich eine uhrmacherrische Spezialanfertigung.
Slatouster Uhrenfabrik (G3/4)
Bei den TYP 1 aus Slatoust ist die Elternschaft der 1. Staatlichen mit ihrer Kriegsproduktion unverkennbar.
Bild 53, G3_9 / G4_5 |
Bis Sommer 1955 sind folgende Kriterien beiden gemeinsam (Bild 53, G3_9 / G4_5):
- Skala für den Rückerzeiger mit den beiden Buchstaben У(+) und П (-)
- Spiralklötzchen-Schraube in einem Winkel von 90 Grad zum Rückerzeiger
- Breguet-Spirale
- mono-metallischer Unruh-Reif mit Schrauben
- Anker-Brücke
- Lagersteine in Messing-Chatons
- Decksteine der Unruh in einem oberen und einem unteren Plättchen
- Doppel-Kloben ohne "Nase"
Im Unterschied zur 1. Staatlichen gab es in Slatoust jedoch nur 15-steinige Werke und statt der Kennung ТИП 1verwendeten die Slatouster die Bezeichnung ЧК-6.
Bild 54, G3_10/ G4_6 |
Im Jahr 1955 hat Slatoust drei Änderungen vorgenommen (Bild 54, G3_10/ G4_6):
- statt in Messing-Chatons wurden die Lagersteine direkt eingepresst
- die Anker-Brücke wurde durch einen Anker-Kloben ersetzt.
- die Kennung ЧК-6 ist entfallen.
Bild 55, G3_11 / G4_7 |
Anfang der 1960er Jahre hat die Slatouster Uhrenfabrik nicht nur ihr Logo von einer "Wort-Bild-Marke" auf eine reine "Bild-Marke" umgestellt (s.o.) sondern auch weitere Veränderungen am Werk vorgenommen (Bild 55, G3_11 / G4_7):
- Die Breguet-Spirale wurde durch eine Flach-Spirale ersetzt - mit den gebotenen Veränderungen am Unruh-Kloben und dem Rücker-Zeiger mit dem Spiral-Schlüssel.
- Aus dem zwei-schenkligen Unruh-Reif mit Schrauben wurde ein drei-schenkliger Unruh-Reif ohne Schrauben.
- Der Doppel-Kloben verlor seinen markanten Einschnitt, den er bereits im Jahr 1912 bei der Vorstellung der "16 Size, Model 5" von Dueber-Hampden erhalten hatte.
- Die Beschriftung an der Scala für den Rückerzeiger wurde vereinfacht: die mathematischen Zeichen "+" und "-" statt der beiden Buchstaben У und П.
Vom Finish her wurde das Uhrwerk langweilig. Dazu mehr im Unterkapitel Veredlung.