Russische Uhren
1917 bis 1945
Mit der Oktober-Revolution vom 25. Oktober / 7. November 1917 war die „Hohe Schule der Chronometermacher in Pulkowo“ beendet. Die meisten Chronometermacher hatten das Land verlassen. Russland war weitgehend isoliert. Bürgerkrieg und Hungersnot prägten die ersten Jahre nach der Revolution. Die junge Sowjetunion mussten neue Handelsbeziehungen aufbauen.
So wurde im Oktober 1920 - zeitgleich mit den Verhandlungen über das Englisch-Sowjetischen Handelsabkommen vom 16. März 1921 - die „All-Russian Co-operative Society“ (ARCOS) als Gesellschaft nach englischem Recht gegründet.
ARCOS hat in den Jahren 1926 bis 1935 noch 18 Chronometer von Mercer und 13 Chronometer von Kullberg bezogen. Und Kullberg hat in den Jahren 1920 bis 1922 weitere sechs Chronometer direkt an die UdSSR geliefert.
(Details dazu im Anhang „Werks-Systematik“ des Unter-Kapitels „Zarenzeit“)
Ob es sich bei diesen Lieferungen von Mercer und Kullberg an die junge Sowjetunion um die Wiederaufnahme der guten Beziehungen aus der Zarenzeit – und damit um einen Neuanfang der Versorgung mit Chronometern und Decks-Uhren handelte, darf angesichts der geringen Stückzahlen bezweifelt werden.
Russland konnte nach der Revolution auf deutlich mehr als eintausend Chronometer und Decks-Uhren für die Marine und die Schifffahrt auf hoher See zurückgreifen. Sie waren in der Zaren-Zeit in Pulkowo aus Rohwerken von Kullberg und Ulysse-Nardin hergestellt worden.
So hatten die Gebrüder Ericsson nach „Chronometer Makers of the World“ in der Zeit von 1878 bis 1916 alleine von Kullberg 793 Chronometer bezogen. Die Zahl der insgesamt von den Ericssons gefertigten Chronometer und Decks-Uhren dürfte doppelt so hoch sein. Und Johan Wirèn hatte, ebenfalls nach Mercer, 174 Chronometer von Kullberg bezogen.
Nach den Wirren des Bürgerkrieges in Russland war es eine der wichtigsten Aufgaben für die Admiralität, diese Chronometer wieder einsatzbereit zu machen.
Deutsche Chronometer für Russland – 1917 bis 1939
In dem im Heel-Verlag erschienenen Buch: Altmeppen/Dittrich: „Das Deutsche Einheits-Chronometer“ bin ich ausführlich auf die Deutsch-Russischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg und auf Bedeutung des Hitler-Stalin-Paktes für Entwicklung des Einheits-Chronometers und die deutsch-russischen Beziehungen in der Zeit vom 23. August 1939 bis zum 22. Juni 1941 eingegangen. Im Folgenden beziehe ich mich mit der dankenswerten Genehmigung des Verlages weitgehend darauf.
Deutschland war - ähnlich wie Russland - nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend isoliert.
Mit dem Rapallo-Vertrag vom 16. April 1922 zwischen Deutschland und der Russisch Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wurde diese Isolation – zumindest bilateral - durchbrochen.
Die junge Russische Sowjet-Republik hat bereits kurz nach den Wirren der Revolution und des Bürgerkriegs die ersten beiden Marine-Chronometer bei A. Lange & Söhne gekauft. Das "Versandbuch-Original" von ALS weist auf Seite 01560 unter dem Datum: 4. Mai 1922 die Lieferung von 2 Stück Marine Box Chronometer, Werk-Nr.: 427 und 430, für die "Handelsvertretung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet Republik, Abteilung: E, in Berlin W 10, Lützow Ufer 1" aus.
In den 1920er Jahren sind an die Handelsvertretung der UdSSR in Berlin weitere Lieferungen von Chronometern abgewickelt worden:
Datum | Werk-Nr. | Besonderheiten |
---|---|---|
16.04.1924 | 481. 482, 483, 484 ,485 | 13-Schläger (Scan_2) |
04.12.1924 | 551 | auf Sternzeit reguliert |
12.02.1925 | 573 | 13-Schläger |
20.04.1927 | 491 | auf mittlere Zeit reguliert |
20.04.1927 | 496, 500 | auf Sternzeit reguliert |
20.04.1927 | 558 | 13-Schläger |
13.05.1927 | 556 | 13-Schläger |
19.04.1927 | 609, 612, 613, 614 | auf mittlere Zeit reguliert |
22.10.1929 | 606 | auf Sternzeit reguliert |
Das Chronometer Nr. 614 von A. Lange & Söhne ist wieder in Deutschland und befindet sich in der Sammlung eines befreundeten Kenners besonderer Chronometer. Er hat mir die beiden folgenden Bilder zur Verfügung gestellt.
In den 1930er Jahren erfolgten Chronometerlieferungen an "Technopromimport" in Moskau:
08.12.1930 | 616 | 13-Schläger |
04.02.1931 | 627, 628, 629 | 13-Schläger (Scan_3) |
29.04.1931 | 633 | 13-Schläger |
„13-Schläger“
Die Tatsache, dass bereits am 16. April 1924 fünf sog. „13-Schläger“ geliefert wurden und dass bis zum 29. April 1931 weiter acht diese Spezial-Chronometer folgten, lässt nur einen Schluss zu:
Die Chronometer und Bord-Uhren aus der Zarenzeit sollten wieder einsatzbereit gemacht werden und mussten dazu neu reguliert werden.
Dazu verwendet man eine „Koinzidenz-Uhr“, eine Präzisionsuhr, die so reguliert ist, dass sie in einer definierten Zeit einen Schlag mehr abgibt als die zu prüfende Uhr. Normalerweise waren dieses Präzisions-Pendeluhren mit 61 Schlägen pro Minute, die wöchentlich zur gleichen Zeit über ein Zeitsignal neu justiert wird.
Auch der „13-Schläger“ ist eine „Koinzidenz-Uhr“. Ein Marine-Chronometer mit Federhemmung macht zwei Schläge pro Sekunde - in sechs Sekunden sind das zwölf Schläge. Der „13-Schläger“ ist ein Chronometer, das in sechs Sekunden 13 Schläge macht.
„13-Schläger“, Marine-Chronometer als Koinzidenz-Uhren, waren schon seit Anfang des 18ten Jahrhunderts im Einsatz. In Glashütte wurden jedoch nur Sekundenpendel-Uhren als Koinzidenz-Uhren genutzt - diese machten in 60 Sekunden 61 Schläge. „13-Schläger“ wurden von A. Lange & Söhne erstmals für die am 16. April 1924 erfolgte Lieferung an die Sowjetunion gebaut.
Der Hitler-Stalin-Pakt
Das Hitler-Regime hatte Mitte der 30er Jahre - ungeachtet der ideologischen Gegensätze - mehrere Wirtschaftsabkommen mit der Sowjetunion geschlossen und Wirtschaftsgüter für mehr als 200-Millionen Mark nach Russland geliefert. Deutschland gehörte in dieser Zeit zu den drei maßgeblichen Importländern der UdSSR und lieferte zwei Drittel der für die Sowjetunion wichtigen Werkzeugmaschinen, auch von den Gebrüder Thiel in Ruhla.
Auf den Export deutscher Chronometer hatte das jedoch nur marginale Auswirkungen. Das Versandbuch-Original von Lange verzeichnet in dieser Zeit auf den Seiten 03711 und 03712 nur drei Chronometer mit Elektro-Kontakten, die am 13. März 1936 an Technopromimport geliefert wurden:
13.03.1936 | 701, 702, 703 | auf mittlere Zeit reguliert mit E-Kontakt |
Der Hitler-Stalin-Pakt war ein eiskaltes Taktieren von beiden Seiten: Hitler hatte bis in den Sommer 1939 hinein mit den Engländern über eine militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit verhandelt und Stalin hatte sich erst am 20. August 1939 entschieden, die seit längerem laufenden Verhandlungen mit Frankreich und England gegen Deutschland zu beenden, um dann am 23. August 1939 mit Hitler seinen Pakt zu schließen.
Mit dem Hitler-Stalin-Pakt („Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ und das „Geheime Zusatzprotokoll“) und dem zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR geschlossenen Handels- und Kreditabkommen vom 19. August 1939 sowie den Wirtschaftsabkommen vom 11. Februar 1940 und vom 10. Januar 1941 gab es große Begehrlichkeiten von beiden Seiten, die in unterschiedlichen Listen zusammengestellt waren.
Deutschland erhielt Lebensmittel und Rohstoffe, die für die Kriegswirtschaft dringend benötigt wurden, - allein im ersten Jahr der auf 27 Monate angesetzten Vertragslaufzeit im Wert von 650 Mill. RM.
Russland hatte lange Listen von Industrie- und Rüstungsgütern für alle drei Waffengattungen.
Uhren spielten dabei eine vergleichsweise kleine Rolle.
Sie sind in der „Anlage zum Wirtschaftsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vom 11. Februar 1940“ mit je sechs Positionen in der „Liste 2“ (in: Aktenband R 27806, S. 324428) und der „Liste 4“ (in: Aktenband R 27806, S. 324455) aufgeführt.
(Es handelt sich dabei um einen Band aus den Handakten von Botschafter Karl Ritter, der seit dem 9. Oktober 1939 mit der „Leitung aller mit dem Wirtschaftskrieg zusammenhängenden Fragen“ beauftragt war. Das Original des Abkommens hat sich leider nicht erhalten.)
Am 14. März 1940, einen Monat nach Abschluss des deutsch-russischen Wirtschaftsabkommens, haben in Berlin die ersten Gespräche über die Lieferung von Marine-Chronometern und anderen Präzisionsuhren an die Sowjetunion stattgefunden.
Das Deutsche Uhrenmuseum Glashütte hat den dazu noch erhaltenen Schriftverkehr archiviert und mir zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
Ein interner Vermerk bei A. Lange & Söhne vom 18. März 1940 verdeutlicht die Wünsche der Russen und die Anlaufschwierigkeiten bei der Belieferung der Russen mit Chronometern:
„Wegen des Russen-Bedarfs an Marine-Chronometern und B-Uhren war Herr ORR Dr. Freiesleben (Seewarte) sehr interessiert daran, dass diese Angelegenheit von uns als Fabrikanten direkt in die Hand genommen wird. Er hielt dieserhalb bei einer dafür zuständigen Stelle des OKM eine Rückfrage, die der gleichen Meinung war.
…
Nach langen Versuchen gelang es mir endlich, den Sachbearbeiter für Uhren bei den Russen ausfindig zu machen und nach weiteren langen Bemühungen den Herrn Drosdoff endlich zu erreichen. Drosdoff war sofort sehr stark daran interessiert, mich zu sprechen. Die Aussprache wurde für 14. März 40, 16 Uhr angesetzt. Es waren 3 Herren von den Russen und eine Dolmetscherin bei der Aussprache zugegen.
Herr Dr. Freiesleben gab mir an, dass die Russen 100 Marine-Chronometer brauchen und etwa 150 B-Uhren.
Bei den Verhandlungen der Russen wurde mir gesagt, dass ein Bedarf vorliege von
- 100 Marine-Chronometern oder mehr
- 1000 Taschen- bzw. Armbanduhren mit zentraler 1/5- oder 1/2-Sekunde. In Metallgehäusen. Als Taschenuhr mit Emailleblatt, als Armbanduhr mit Leuchtblatt, evtl. auch antimagnetisch. Gute Gangleistungen.
Die Marine-Chronometer sollen mit 1/2-Sekunde (Chronometergang) und mit Ankergang angeboten werden, auch mit Kontakteinrichtungen, mit Sternzeit, Tabelle der Prüfbedingungen der Seewarte beifügen.
Hierfür bitten die Russen um eingehendes Angebot mit Abbildungen, auch ein Chronometer-Modell vorführen, dazu Preise und Lieferzeitenangaben. Das Angebot soll am Dienstag bei den Russen vorliegen, also am 19. März 40.“
Ohne Stückzahlen zu nennen, hat Lange & Söhne in einem Angebotsschreiben vom 18. März 1940 Marine-Chronometer mit Ankergang und mit Chronometergang mit folgenden vier Spezifikationen: reguliert auf mittlere Zeit und auf Sternzeit, beide ohne und mit E-Kontakten wobei die 60. Sekunde markiert ist, und die dazu gehörigen Preise angeboten.
Bemerkenswert in dem Angebot an die Handelsvertretung der UdSSR in Berlin ist die angegebene Lieferzeit für die Chronometer mit Chronometergang: „Lieferbeginn frühestens 10 Monate nach Kriegsende“. Die mitgelieferte Begründung dafür lautet: „Diese Art Instrumente werden während der Kriegszeit nicht hergestellt.“
Am 16. Mai 1940 hat Lange & Söhne die Lieferung von ca. 30 Marine-Chronometern mit Ankergang schon in einigen Monaten in Aussicht gestellt. Dabei handelt es sich offensichtlich um die von der Seewarte zur Weiterveräußerung an die Russen bereitwilligst zur Verfügung gestellten Chronometer.
Am 26. Mai 1940 wird in einem internen Vermerk von Lange über die äußerst schleppende Bearbeitung des Angebots berichtet. Und es gibt zwei weitere Aspekte in diesem Vermerk:
Der erste betrifft das Interesse der russischen Seite an Chronometern mit Ankergang bzw. Chronometergang. Bei früheren Gesprächen mit dem russischen Vertreter Seljankin hatte dieser erklärt, dass die Handelsvertretung nur Interesse an Anker-Chronometern habe. Der jetzige Gesprächspartner, Snamensij, habe erklärt, „dass das Technoproimport mehr Neigung für die Schneckenchronometer als für Ankerchronometer haben dürfte.“
Der zweite Aspekt: „Snamensij fragte nun noch nach 13-Sekunden-Schlägern. Die Handelsvertretung hätte gern auch darin noch ein 2-faches Angebot gehabt, da auch darin ein kleiner Bedarf vorhanden sei. ... Ich will das Angebot persönlich abgeben einmal, um mit Snamensij immer wieder in persönliche Berührung zu kommen, des anderen, um zu erfahren, ob inzwischen etwa die Entscheidung von Moskau vorliegt, die noch in diesem Monat erwartet wird. Ich wies auch bereits darauf hin, dass auch 13-Sekunden-Schläger schon früher von uns nach Moskau geliefert wurden.“
In einem Brief vom 4. Juli 1940 „Durch Luftpost An das Technopromimport der UdSSR, Moskau, 9, Pr. Chudoshewst. Teatra“ werden die Angebote von Lange wiederholt:
- Marine-Chronometer mit Ankergang, „Lieferung zum Teil kurzfristig möglich“
- Marine-Chronometer mit Chronometergang, „Lieferung: bis 30 Stück in etwa 3-4 Monaten möglich. Unverbindlich“
- Marine-Chronometer mit Chronometergang als 13-Schläger – ohne Lieferfrist
Im Begleittext heißt es:
„Die Handelsvertretung der UdSSR, Berlin, teilt uns am 2. 7. 40 unter 56/A/L mit, dass das Technoproimport-Moskau zu unserer oben abgegebenen Offerte von Moskau aus uns gegenüber direkt Stellung nehmen wird. Um in unserer Fabrikation entsprechend disponieren zu können, wäre es uns angenehm, von Ihnen zu hören, ob oder wann wir auf ihre Chronometer-Bestellung rechnen können. ... Ihrem Bescheid sehen wir mit Interesse entgegen.“
Das letzte Schreiben in den Glashütter Archiven aus dieser Zeit datiert vom 12. August 1940. Es ist adressiert: „An die Prüfstelle Metallwaren, Berlin-Halensee“ und betrifft die „Ausfuhr von Spezialuhren nach Russland auf Grund des Zusatzabkommens vom 11.2.40“. In diesem Schreiben werden die Angebote von A. Lange & Söhne an die Handelsvertretung der UdSSR wiederholt und die Verhandlungen bewertet: „Schwierig sind die seit März andauernden Verhandlungen mit der Handelsvertretung insofern, als es bisher trotz dauernder Bemühung nicht möglich war zu einer Entscheidung bzw. zu einem festen Auftrag zu gelangen.“ Anfang August 1940 wurde zwar ein Auftrag auf drei Marine-Chronometer in Aussicht gestellt. Dieser war jedoch an zu verhandelnde Vorbedingungen geknüpft.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass in der Zeit vom 23. August 1939 bis zum 22. Juni 1941 keine Chronometer aus Glashütte nach Russland geliefert worden sind.
Ulysse-Nardin – Marine-Chronometer
Mitte der 1990er Jahre war ich mehrfach in Moskau und habe dort auch die Uhrenfabriken besucht. Poljot hat mir für meine Forschungsarbeit über russische Uhren eine größere Anzahl von Dokumenten zur Verfügung gestellt. Dazu gehört u.a. ein Manuskript der Fabrik über die Uhrenproduktion der Jahre 1930 bis 1941.
Aus der Beschreibung unter Ziffer 12, Seite 4, geht hervor, dass die Versorgung der sowjetischen Marine mit Chronometern zu Beginn des „Großen Vaterländischen Krieges“ sehr schwierig war.
So berichtet der „Genosse Koroljow“, dass die Erste Staatliche Uhren-Fabrik im Jahr 1941 gegenwärtig 835 Werke aus alten Beständen aufarbeite.
Und der „Genosse Beljakow“ spricht davon, dass die Fabrik im Jahr 1939 nur 30 Marine-Chronometer hergestellt habe, davon 25 aus Importmitteln und nur fünf mit „vaterländischen Mitteln“.
Übersetzung: Ziffer 12, Seite 4 (durchgestrichener Text)
„Auszug aus dem Stenogramm der Besprechungen der Hauptverwaltung über die Qualität der Produktion (Uhren) vom 14. Dezember 1943 (ZGANCH, UdSSR, Bestand 8217, Niederschrift 1, Lagernummer 4):
- Aus dem Vortrag des Genossen Beljakow:
„im Detail: Man hat uns den Auftrag erteilt, die Produktion von Marine-Chronometern zu organisieren und aufzubauen, denn Marine-Chronometer wurden in der Sowjetunion im Grunde nicht hergestellt. Seit der Existenz der Ersten Staatliche Uhren-Fabrik wurden, beginnend im Jahre 1939, nur ca. 30 Marine-Chronometer hergestellt, davon 25 aus Importmitteln und nur fünf mit >vaterländischen Mittel<.“ - Aus dem Vortrag des Genossen Koroljow:
„im Jahr 1941 haben wir die Produktion dieses Chronometers aufgenommen, aber die Industrie hat ihre Aufgabe nicht erfüllen können und damit die Menge an Chronometern, die nötig ist, nicht liefern können.
Bei der heutigen Anzahl der Unterseeboote, die im Einzeleinsatz fahren, benötigen wir diese Spezialuhren – Marine-Chronometer. Sie werden in der Ersten Staatlichen Uhren-Fabrik produziert, gegenwärtig aus 835 Werke alter Beständen.“
Anmerkung 1
Beim „Genossen Beljakow“ handelt es sich um Alexander Wassiljewitsch Beljakow, der an den beiden Rekordflügen mit einer ANT-25 teilnahm:
1936 von Moskau über den Arktischen Ozean zur Insel Udd (9374 km) und 1937 von Moskau nach Vancouver (12.000 km). Später wurde er u.a. Chef für navigatorische Ausbildung an der Schukowski-Akademie.
Anmerkung 2
Der „Genosse Koroljow“ ist der Flugzeug- und Raketen-Konstrukteur Sergei Pawlowitsch Koroljow. Er war nach dem Krieg Chef der russischen Raumfahrtbehörde. Er konstruierte u.a. die „R-7“, mit der 1957 „Sputnik 1“ und 1961 Juri Gagarin in den Weltraum flogen.
Ulysse-Nardin hat während der Zweiten Weltkrieges verschiedene Kriegs-Parteien mit Chronometern und B-Uhren beliefert - darunter Russland, Japan und auch Deutschland.
1941 hat Ulysse-Nardin etwa 400 Marine-Chronometer an die Sowjetunion geliefert. Die Frage, ob diese Chronometer komplett auch mit den russischen Signaturen in Le Locle in der Schweiz hergestellt wurden oder ob sie als Rohwerke nach Moskau kamen, kann ich nicht beantworten. Und der oben erwähnte Hinweis des Genossen Beljakow lässt noch viel Forschungsarbeit offen.
Die technischen Daten der Chronometer von Ulysse-Nardin finden sich in dem erwähnten Manuskript unter Ziffer 12 auf Seite 3 (Übersetzung: Ziffer 12, Seite 3):
12. Marine-Chronometer 6 MX
Das Marine-Chronometer – ein Präzisionsgerät, dient dem Nachweis der Zeit auf einem Schiff. Das Gerät hat einen Stundenzeiger, Minutenzeiger und einen neben der „6“ befindlichen Sekundenzeiger aber auch ... (eine Auf-/Ab-Anzeige, d. Verf.) mit einer Scala, bei der Zahl „12“ mit einer Anzeige von 56 Stunden.
- Das Werks-Kaliber misst 85 mm, die Höhe des Werkes ist 39,8 mm.
- Anzahl der Steine: 20 Stück; der obere Deckstein der Unruh-Welle – ein Diamant.
- Die mittlere tägliche Abweichung beträgt +0,4 Sekunden.
- Die Laufzeit beträgt nicht weniger als 56 Stunden.
- Kasten und Überkasten sind aus Mahagoniholz.
- Abmessung des Kastens: 190x190x190 mm, Gewicht 5 kg.
- Abmessung des Überkastens: 320x260x234 mm, Gewicht 9 kg.
- Hersteller: „Erste Moskauer Uhren-Fabrik“
- Beginn der Auslieferung im Jahr 1939
- In der heutigen Zeit wird die Herstellung im Unternehmen „OOO Poljot-Chronos“ (Staatliche Organisation für Verteidigung, d.Verf.) durchgeführt.“
Anmerkung
Da das Manuskript aus der Nachkriegszeit stammt, könnte das die unzutreffende Bezeichnung auf Seite 3, nämlich: „Erste Moskauer Uhren-Fabrik“ für die herstellende Fabrik erklären. Es muss, wie in dem auf Seite 4 zitierten Protokoll zutreffend bezeichnet, „Erste Staatliche Uhren-Fabrik“ heißen.
Bei den unter eigenem Namen vertriebenen Chronometern hat Nardin sein Firmenlogo und die Serien-Nummer in die obere Werks-Platine gepunzt.
Das mir vorliegende Marine-Chronometer aus Le Locle trägt auf dem Zifferblatt die Kennung: > НИИ 5 < und die russische Serien-Nummer 392. Auf der oberen Werks-Platine steht die Kennung der 1. Staatlichen Uhrenfabrik von 1941: das 1 DWH in dem Pentagon mit den Zusätzen: MJNL und LNQJCA.
Н И И 5 steht für
НАУЧНО - ИССЛЕДОВАТЕЛЬСКИМ ИНСТИТУТОМ
das Staatliche (ГОСУДАРСТВЕНИЫМ) „Wissenschaftliche Forschungsinstitut Nr. 5“.
In der Sowjetunion war es üblich, dass Institute Nummern trugen. So steht die „5“ für das fünfte Institut, aus dem nach dem Krieg „ЧАСПРОМ“ (ЧАСОВОЙ ПРОМЫШЛЕННОСТИ) nämlich das Institut für „Uhren-Industrie“ wurde.
M J N L steht für
MAPNEM[Ä JNLIQQAPIAR NBYFDN LAXIMNQRPNFMI - dem ab 1940 auch für die Uhrenproduktion zuständigen „Volkskommissariat für Allgemeinen Maschinenbau“.
Bei diesem „Russischen Nardin“ steht die Serien-Nummer aus Le Locle > 4095 < eingeritzt unter einem Schenkel der Unruh. Nach den Unterlagen von Ulysse-Nardin wurden in den Jahren 1941-1942 die Serien-Nummern 4001 bis 5000 hergestellt. Die Schweizer Serien-Nummer passt also zeitlich zu den russischen Signaturen
Das lässt den Schluss zu, dass die Lieferung der etwa 400 Chronometer von Le Locle nach Moskau im Jahr 1941 erfolgte.
Hier dürfte einer der Gründe dafür liegen, dass Russland die deutschen Angebote aus dem Hitler-Stalin-Pakt mit äußerster Zurückhaltung behandelt hat, obwohl Deutschland im Rahmen der deutsch-russischen Wirtschaftsabkommen ein Handels-Defizit aufwies und Russland deutsche Chronometer gewissermaßen hätte abrufen können.
Dennoch ist nicht nachvollziehbar, dass Stalin sich nicht ein Kontingent deutscher Marine-Chronometer gesichert hat. Er hätte – ohne Kosten – parallel fahren können. Es entsprach aber durchaus der Diplomatie von Stalin, Entscheidungen unter national-egoistischen Kriterien bis zum letzten Augenblick hinauszuzögern, um den eigenen Vorteil zu sichern. Hier hat er offensichtlich zu lange gezögert.
Bei einem meiner ersten Besuche bei „Poljot“ in Moskau wurde mir gesagt, dass ab 1940 in der „Abteilung 13“ der 1. Staatlichen Uhrenfabrik Marine-Chronometer und B-Uhren für Militär und Wissenschaft gebaut wurden.
Diese „Abteilung 13“ sei ein hermetisch abgeriegelter militärischer Bereich gewesen, zu dem Mitarbeiter des zivilen Bereiches der Fabrik keinen Zugang hatten. Auf die Beziehungen zwischen dem НИИ und der 1. Staatlichen / Moskauer Uhrenfabrik gehe ich im Unter-Kapitel: 1945 bis 2000 näher ein.
Das > НИИ 5 < aus meiner Sammlung habe ich auch in Altmeppen/Dittrich: „Das Deutsche Einheits-Chronometer“ (S. 31f) beschrieben. Es ist, wie auch das „Russische Nardin“ mit der Serien-Nummer „337“ und der Signatur der 1. Staatlichen Uhrenfabrik, „1 ГЧЗ“, auf dem Zifferblatt, auch im „Sammlerkatalog Nr. 8“ von Juri Levenberg abgebildet.
Ulysse-Nardin – B-Uhren
Weitere Lieferungen von Marine-Chronometern aus Le Locle nach Russland sind mir nicht bekannt. Anders verhält es sich jedoch mit den B-Uhren. Ulysse-Nardin hat im letzten Krieg auch Beobachtungs-Uhren an jeden geliefert, der sie bestellt und bezahlt hat.
Das zeigen beispielsweise die beiden Dokumente der Deutschen Seewarte vom August 1941 zu den B-Uhren „Nardin 28778“ und „Nardin 28865“ zeigen.
In Bezug auf die Sowjetunion ist Nardin zweigleisig gefahren:
Die Schweizer haben komplette B-Uhren geliefert, wie das „Ulysse-Nardin 27893“ zeigt. Es war bereits 1940 mit der militärischen Nummer „13“ bei der russischen Schwarzmeer-Flotte im Einsatz.
Die Schweizer haben der Sowjetunion aber auch die Lizenz zum Nachbau ihrer B-Uhr verkauft.
In dem oben erwähnten Manuskript von Poljot ist die Bord-Uhr >ЧАСЫ РАЛУБНЫЕ „ЧП“< „TschP“ unter der Ziffer 13 erwähnt. Dort heißt es:
13. Bord-Uhr „TschP“
Die Bord-Uhr ist ein Präzisions-Zeitmessgerät, justiert nach Mittel-Sommerzeit.
Die TschP wird zur Beobachtung auf dem Meer an Deck benutzt. Vor der Nutzung wird die Bord-Uhr mit einem Schiffs-Chronometer geeicht. Der Durchmesser des Uhrwerks beträgt 52,8 mm; es hat 22 Rubin-Steine, Ankergang, eine bi-metallische Kompensations-Unruh. Aufzug und Ablauf der Feder sind durch ein Malteserkreuz begrenzt. Die Gangdauer beträgt nach einmaligem vollem Aufzug 40 Stunden. Die durchschnittliche tägliche Gangabweichung beträgt 10 Sekunden.
Die Uhr ist in einer Box aus Hartholz gelagert, sie hat ein Silikon-Glas und ein versilbertes Zifferblatt.
Wird ab 1940 (1948) gebaut (handschriftlich ergänzt: bis in die heutige Zeit)“
Anmerkung
Die beiden Jahreszahlen, die den Beginn der Produktion kennzeichnen, beziehen sich auf die ersten Lizenzbauten im Jahr 1940 und auf den Produktionsbeginn der Decks-Uhr nach dem Krieg im Jahr 1948. So hat die 1. Staatliche Uhrenfabrik in Moskau hat bereits im zweiten Quartal 1940 die „Russische Ulysse-Nardin B-Uhren“ mit der Serien-Nummer „N 510“ gebaut.
Das Zifferblatt der „N-510“ mit der Signatur der „1 МЧЗ“ stammt aus der Nachkriegszeit.
Da mir keine weiteren Russischen B-Uhren aus der Zeit vor oder während des Großen Vaterländischen Kriegs bekannt sind, kann ich nicht beurteilen, ob dieser Nachbau auch mit dem Zifferblatt der „1 ГЧЗ“ bereits im Krieg eingesetzt wurde.
Ein Vergleich der Details zeigt, dass die „1 ГЧЗ_N 510_2-40“ ganz offensichtlich in Moskau hergestellt wurde.
Die „Vaterschaft“ aus Le Locle ist eindeutig. Die Feinheiten aus der Schweiz fehlen aber, wie beispielsweise beim Schwanenhals, dem Anker mit den Anker-Paletten und der in Steinen gelagerte Halterung des Ankers, den versenkten Schrauben oder der Ausfräsung in der Trägerplatine auf Höhe des Ankerrades.
Diese Beobachtungs-Uhr wurde nach dem Krieg, ab 1948, in der 1. Moskauer Uhrenfabrik in Groß-Serie für die Russische Flotte und für die Flotten der verbündeten Staaten des Warschauer Paktes gebaut (Darauf gehe ich im Unter-Kapitel: Schiffs und Uhren_1945 bis 2000 ein).
Das > 1 ГЧЗ_N 510_2-40 < und das > Ulysse-Nardin 27893 < aus meiner Sammlung habe ich auch in Altmeppen/Dittrich: „Das Deutsche Einheits-Chronometer“ (S. 32f) beschrieben. Das> 1 ГЧЗ_N 510_2-40 < ist auch im „Sammlerkatalog Nr. 8“ von Juri Levenberg abgebildet.
LEMANIA
Als wenige Monate nach Beginn des „Großen Vaterländischen Krieges“ am 22. Juni 1941 die Front vor Moskau stand, wurde die „1 ГЧЗ“ nach Slatoust in den Ural evakuiert. Die Arbeit der oben erwähnten „13. Abteilung“ an Chronometern und B-Uhren konnte nicht fortgesetzt werden. Der Bedarf an Spezial-Uhren für das Militär war aber größer denn je.
In dieser Zeit hat auch „Lemania“ die Russen beliefert. Von meinem Uhrenfreund Eugen habe ich vier Spezial-Uhren, die während des Krieges auf der Krim im Einsatz waren:
In dem Museum für den „Große Vaterländischen Krieg“ im „Park Pobjedi“ in Moskau sind zwei weitere Lemania zusammen mit der persönlichen Ausrüstung der beiden Soldaten, die diese Uhren getragen haben, ausgestellt.
Wand-Uhren für Schiffe
Zur Zarenzeit hatten die Uhrmacher ihren Namen auf dem Zifferblatt. Das gilt für (fast) alle Arten von Uhren. Das änderte sich nach der Revolution. Mitte der 1930er Jahre haben Spezial-Fabriken und die 1. sowie die 2. Staatliche Uhrenfabrik auch Wanduhren für Schiffe gebaut und ihren Namen auf dem Zifferblatt und auf einzelnen Komponenten der Uhren verewigt. Aus den Ein-Mann-Manufakturen der Zarenzeit entstand eine industrielle Produktion.
Die ersten Wanduhren für Schiffe, die mir aus der Zeit nach der Revolution bekannt sind, hatten ein Holzgehäuse und ein 24-Stunden-Zifferblatt.
Dazu drei Beispiele:
Das Echappement bei diesen Uhren ist in den meisten Fällen in späteren Jahren erneuert worden. Das gilt auch für diese drei Uhren.
Die „Fabrik für Marine-Instrumente“ „ЗАВОД МОРЕХОДН. ИНСТРУМЕНТОВ“ hat mit der Nummer: No 3387 eine Uhr mit 24-Stunden-Zifferblatt in einem Metall-Gehäuse gebaut.
Das Echappement ist ganz offensichtlich noch original. Es stammt aus der 1. Staatlichen Uhrenfabrik - und zwar aus der Zeit zwischen Sommer 1938 und Herbst 1940, wie an der Beschriftung „НКМ“ erkennbar ist. Es ist vom Aufbau her austauschbar mit den späteren Echappements aus Tschistopol, wie andere Wanduhren zeigen.
Das Basis-Kaliber der vier gezeigten Uhren wurde in Russland noch bis Anfang der 1960er Jahre verwendet.
Die Wanduhr aus der „Fabrik der 1. Industriellen Kooperative für Uhren“ in Leningrad „ПРОМКООПЧАС No 1. ЛЕНИНГРАД“ hat ein 12-Stunden-Zifferblatt und ein Metallgehäuse. Bei ihr ist das Echappement im 1. Quartal 1972 ausgetauscht worden.
Der Aufbau dieses Werkes unterscheidet sich wesentlich von den Werken der vier vorher gezeigten Uhren.
Und es ist das einzige Werk dieser Art für eine Schiffs-Bord-Uhr in meiner Sammlung.