Russische Uhren
2. Generation
Die Tscheljabinsker Enkel des Jaeger
30 Jahre lang, etwa von 1930 bis 1960 war Jaeger - Le Coultre mit seiner Chronoflight der "Geistige Vater" aller russischen Flugzeug-Borduhren.
Erst Ende der 1950er Jahre, als sich in der zivilen Luftfahrt der Sowjetunion die Strahlenflugzeuge durchsetzten und die Mikojan/Gurewitsch "MiG 21" zum Standard der Luftwaffen im Warschauer Pakt wurde, hat die Uhrenfabrik in Tscheljabinsk, im Südosten des Ural, eine neue Flugzeugborduhr entwickelt.
Die äußere Form des Gehäuses ist identisch mit der ihrer Vorgänger seit 1930. Das war sicherlich kein Zufall, denn dadurch war es möglich, die Bord-Uhren der ersten Generation durch die russische Eigenentwicklung der zweiten Generation auszutauschen, ohne Veränderungen im Cockpit der Flugzeuge vornehmen zu müssen.
Das neue Basiskaliber unterscheidet sich wesentlich von den "Kindern" der Jaeger - Le Coultre. So hat es beispielsweise
- zwei Federhäuser,
- eine in Tscheljabinsk entwickelte Feinreglage und
- eine Breguet-Spirale.
Die Uhren haben - bis auf die "АЧС 1 М" - eine zentrale mitlaufende Sekunde.
Über einen Federmechanismus, der durch Drehen des Knopfes bei "4" betätigt wird, kann die Unruhe und damit das Uhrwerk mit all seinen Funktionen gestoppt werden. Die Bedienung aller übrigen Funktionen ist wie bei der Jaeger und ihren Nachfolgern aus Moskau und Slatoust.
Bei Ausführungen mit Chronograph ist die Sekunden- und Minutenanzeige für die Stoppeinrichtung auf dem unteren Hilfszifferblatt.
Die Flugzeit wird wie bei der "АЧХ" angezeigt: roter Kreis: Flugzeit läuft; rot/weiß: Flugzeit ist in gestopptem Zustand; weiß: Flugzeit ist in Nullstellung.
Und wie bei der Jaeger ist die Kadratur für den Chronographen werkseitig angeordnet und die Kadratur für die Flugzeit zwischen Trägerplatine und Zifferblatt.
Die neukonstruierte Heizung, die innen im Rückdeckel verschraubt ist und mit 27 Volt gespeist wird, ist bimetall-gesteuert.
Die genannten Unterschiede zeige ich im Folgenden bei der Beschreibung der sechs Typen dieser Borduhr aus Tscheljabinsk.
Für Sammler, die Freude am Detail haben, lohnt es sich, das Gehäuse zu öffnen. Auf der unteren Platine steht neben der Serien-Nr. für das Uhrwerk das Herstelldatum mit Quartal und Jahr.
Ein Vergleich der Chronographen-Kadratur von 1960 bis Mitte der 80er Jahre zeigt eine bemerkenswerte Entwicklung:
- Die ersten Bord-Uhren dieser Bauart hatten in der Chronographen-Kadratur vier "klassische" Federn, wie bei der "АЧС 1_49162_4-62" zu sehen ist.
- Bei der "АЧС 1_18317_3-61" ist die "klassische" Herzhebelfeder durch eine Spiral-Feder ersetzt worden.
- Bei der "60 ЧП_98966_2-72" ist zusätzlich die Schalthebelfeder durch eine Spiral-Feder ersetzt.
- Zwei Jahre später ist, wie bei der "59 ЧП_30634_1-74" zu sehen, die Feder für die Wippe, mit der die mitlaufende Minute synchronisiert wird, die dritte Spiral-Feder.
- Und das Werk der "60 ЧП_14745_4-83" zeigt, dass auch die Kupplungsfeder zu einer Drahtspirale, befestigt auf der verlängerten Achse des Blockierhebels, geworden ist. Lediglich die Schaltradfeder und die Blockierhebelfeder sind noch klassisch ausgeprägt. Diese vierte Spiralfeder gibt es bereits seit dem 1. Quartal 1974, wie beispielsweise die Abbildung bei Klaus Seide, "Russlands Uhren, Bd. 2", zeigt.
Ein weiteres Detail ist die Veränderung bei der Unruh:
Spätestens ab dem 3. Quartal 1965 wurde die zwei-schenklige, mono-metallische Schrauben-Unruh - bei sonst unverändertem Werksaufbau - durch eine drei-schenklige mono-metallische Unruh ohne Schrauben ersetzt. Beide Varianten hatten – im Unterschied zu den Borduhren der 1. Generation - Breguet-Spiralen.
Auf diesen Bildern ist die auch die in Tschistopol für diese Borduhr entwickelte Feinreglage gut zu erkennen.
Ein drittes Detail ist die Form und Positionierung der Minutenzählradwippe:
Wippe 1
Bei dem frühen Modell setzt die Wippe unterhalb des Herzhebels an und verläuft mit zwei Krümmungen - als Höhenausgleich - bis zum Trieb
Bei der "59 ЧП" mit ihrem elektro-mechanischem Schaltmechanismus ist diese Form der Wippe konstruktionsbedingt.
Auf den Bildern 2 und 4 habe ich auf einem Scan die Minutenzählradwippe mit zwei roten Pfeilen gekennzeichnet. Auf Bild 4 sind die beiden Kontaktgeber der "59 ЧП" zusätzlich mit gelben Pfeilen gekennzeichnet.
Wippe 2
Bei den neueren Modellen, bereits seit Anfang der 70er Jahre, setzt sie am oberen Ende des Schaltrads an und wird auf einer Ebene, oberhalb des Herzhebels, in einem Bogen bis zum Lager des Triebs durchgeführt.
Auch hier habe ich bei Bild 2 auf einem Scan die Minutenzählradwippe mit zwei roten Pfeilen gekennzeichnet.
Mit dem Basiskaliber dieser Flugzeug-Cockpit-Uhren sind folgende Typen gebaut worden:
- "АЧС 1" > mit Flugzeit, Chronograph und Heizung;
- "122 ЧС" > ohne eine der Komplikationen;
- "60 ЧП" > mit Chronograph;
- "61 ЧП" > mit Chronograph in einem verschraubten Gehäuse;
- "123 ЧС" > mit Chronograph und Heizung;
- "59 ЧП" > mit Chronograph und elektro-mechanischem Schaltmechanismus.
Eine weitere Flugzeug-Cockpit-Uhr, die - allerdings mit grundlegend anderem Werksaufbau - als nahe Verwandte in diese Familie gehört ist die
- "АЧС 1 - М" > mit Flugzeit, Chronograph und Heizung;
АЧС 1
Von der "АЧС 1" gibt es eine ältere und eine jüngere Version.
Geliefert wurde die "АЧС 1" mit den Papieren in einer Styropor-Schachtel.
Beide Versionen sind vom Werkaufbau identisch. Sie unterscheiden sich durch das Design der Zifferblätter
Somit sind sie vom Zifferblatt her eindeutig zu unterscheiden:
Die Uhr aus den frühen 60er Jahren hat ein Design, das der "АЧХ" aus Moskau nachempfunden war:
Ein rundes Fenster für die Anzeige der Flugzeit "ВРЕМЯ ПОЛЕТА" und einen äußeren Kreis um die Minutenstriche auf dem Zifferblatt der Uhr und den Hilfs-Zifferblättern für die Flugzeit und den Chronographen.
Das Hilfszifferblatt für den Chronographen trägt die Zahlen in 5er-Schritten und "СЕКУНДОМЕР" als Beschriftung;
Diese Version trägt im Zifferblatt für die Flugzeit, wo bei der "АЧХ" das "5 ДНЕЙ" als Hinweis für das 5-Tage-Werk steht, in Leuchtschrift den Hinweis "2 СУТОК" für (2 Uhrzeiten).
Bereits Ende 1962 erhielt das Zifferblatt der "АЧС 1" ein moderneres und übersichtlicheres Aussehen:
Die Uhr hat ein quadratisches Fenster und Minutenstriche für die Uhrzeit, für die Flugzeit und für den Chronographen ohne Kreise.
Bei der neueren Version trägt das Hilfszifferblatt für den Chronographen die Zahlen in 10er Schritten und nur die Abkürzung "СЕК" als Beschriftung.
Bei dieser neueren Version ist der Hinweis "2 СУТОК" (2 Uhrzeiten) in den schwarzen Grund des Zifferblatts bei "9" gepunzt.
Die älteste mir bekannte "АЧС 1" stammt aus dem Sommer 1961. Diese Flugzeug-Borduhr wurde bis Ende der 1980er Jahre gebaut, wie der oben gezeigte Pasport vom Dezember 1989 der "АЧС 1_87131" zeigt.
Die "АЧС 1" war eine Standard-Borduhr der russischen Luftwaffe. Aber so, wie die Taschenuhr "TYP 1" als Anerkennung für besondere Leistungen mit einer Widmung verliehen wurde, war es auch mit der "АЧС 1", wie die folgenden drei Bilder zeigen.
АЧС 1 - М spätestens ab 1984
Die "АЧС 1 - М" hat die gleichen Komplikationen wie die "АЧС 1", die "АЧХ" und deren Vorläufer.
Dennoch unterscheidet sie sich von ihr schon äußerlich durch zwei Kriterien:
Der zentrale Sekundenzeiger ist der Zeiger für die Stoppsekunde und das Hilfs-Zifferblatt für den Chronographen bei "6" trägt nur den Minutenzählzeiger und zeigt 30 Minuten. Die Sekunde der laufenden Uhr wird nicht angezeigt.
Bei der "АЧС 1" zeigte der zentrale Sekundenzeiger die Sekunden der laufenden Uhr. Der Chronograph hatte einen Zeiger für die Sekunden und einen für 60 Minuten auf dem Hilfs-Zifferblatt bei "6".
Das Zifferblatt der "АЧС 1 - М" ist – abgesehen von den beiden Punkten– identisch mit dem der modernen Version der "АЧС 1".
Zwar sind das Gehäuse und die äußeren Abmessungen der Trägerplatine und der Werkplatine identisch. Das Werk der "АЧС 1 М" unterscheidet sich jedoch grundlegend von dem der "АЧС 1".
Wesentliche Unterschiede sind beim Übertragungssystem, dem Ankerradkloben und der Chronographen-Kadratur.
122 ЧС
Die "122 ЧС ist die einfachste aus der Serie dieser Borduhren.
Sie hat nur das Uhrwerk mit der Vorrichtung zum Stoppen der Unruhe, wie alle anderen auch.
Aber gerade weil die Kadraturen für Flugzeit und Chronograph fehlen, eröffnet sie einen Einblick in die rationelle Serienproduktion der Platinen: Die Trägerplatine und die Werkplatine sind identisch mit denen der "АЧС 1". Sie haben alle Bohrungen, Fräsungen und Gewinde, die erforderlich sind, um die Kadraturen für Chrono und Flugzeit aufzunehmen.
Das zeigt, dass die "АЧС 1" das Basis-Kaliber der Borduhren aus Tscheljabinsk ist und dass die "122 ЧС durch "Weglassen" nicht benötigter Komplikationen für bestimmte Anforderungen entstanden ist.
60 ЧП
Die "60 ЧП" hat zusätzlich die Chronographen-Funktion. Start, Stopp und Nullstellung erfolgen über den Drücker bei "4". Die gestoppten Sekunden und Minuten werden auf dem Zifferblatt bei "6" angezeigt. Werkseitig ist sie identisch mit der "АЧС 1".
123 ЧС
Die "123 ЧС" ist die "60 ЧП" mit Heizung. Sie hat dadurch eine größere Einbautiefe.
61 ЧП
Die "61 ЧП" ist vom Uhrwerk her baugleich mit der 60 ЧП". Sie unterscheidet sich durch das wasserdicht verschraubte Gehäuse. Während alle anderen Borduhren in militärischen und zivilen Flugzeugen und Hubschraubern sowie in Straßenfahrzeugen eingesetzt waren, diente die "61 ЧП" aufgrund ihrer Bauart wahrscheinlich in Wasserfahrzeugen.
Die "61 ЧП" ist die moderne Version der weiter oben beschriebenen "19 ЧС" aus dem Jahr 1953 mit dem Logo der 1. Moskauer Uhrenfabrik.
59 ЧП
Mit der "59 ЧП", die vom Uhrwerk her identisch ist mit der "60 ЧП", haben die Experten aus Tscheljabinsk eine "Anleihe" gemacht bei der "56 ЧП" aus der 1. Moskauer Uhrenfabrik. Die "59 ЧП" hat den gleichen Mechanismus zum Auslösen elektrischer Kontakte und die gleichen Funktionen, wie bei ihre "Schwester" aus Moskau beschrieben. Die Verdrahtung auf der Bakelit-Platine und die sechs Lötkontakte auf der Rückseite des Gehäuses sind anders angeordnet, haben aber die gleichen Funktionen. Auch hier sollten beim Öffnen zuerst die beiden Halterungsschrauben für die Platine mit den Lötkontakten gelöst werden.