Russische Uhren
1. Russische Kalendarien und Stunden
In Russland hat es in der Neuzeit vier Kalendarien gegeben:
- die Byzantinische Zeitrechnung bis 1700,
- den Julianischen Kalender nach der Kalender-Reform von Peter I.
- den Gregorianischen Kalender ab 1918,
- den "Revolutions-Kalender" von Stalin in der Zeit von 1929 bis 1940.
1.1. Die Kalender-Reform durch Peter I.
Zeitrechnung und Kalender weisen im russischen Mittelalter gegenüber Mittel- und Westeuropa beachtenswerte Besonderheiten auf.
Vor der Kalender-Reform von Peter I. galt in Russland als offizielle Zeitrechnung die "Russische Weltära" nach dem Byzantinischen Kalender, "Chronicon Paschale" und in einigen Landesteilen, am Kaspischen Meer, galt der traditionelle Islamische Kalender, hidschri-qamari.
Peter I. hat am 19. August 7208 per Ukas angeordnet, dass der nach dem zu diesem Zeitpunkt noch gültigem (alten) Kalender auf den 1. September fallende Jahresbeginn 7209 auf den 1. Januar 1700 fällt. Rückgerechnet hat er den Ukas nach dem neuen, julianischen Kalender also am 19. Dezember 1699 erlassen.
"Mit der Christianisierung im 10. Jahrhundert übernahm man die in der Jahreseinteilung dem Julianischen Kalender folgende byzantinische Zeitrechnung, der das aus dem Alten Testament errechnete Datum der Weltschöpfung – der 1. September 5508 v. Chr. – als Ausgangspunkt diente. Im slawischen Raum war der übliche Jahresanfang im Frühling; er wurde bei der Übernahme des christlichen Kalenders in der Rus` beibehalten. Anfangs galt weiterhin der erste Frühlingsvollmond, der in der Regel in den Monat März fiel, als Jahresanfang. Dieser Jahresanfang wird als "circa-Märzjahr" bezeichnet. Bald setzte sich der 1. März als Jahresanfang durch. Für die Zuordnung dieses russischen Märzjahres zum byzantinischen Septemberjahr ergaben sich zwei Möglichkeiten: Das russische Jahr konnte ein halbes Jahr nach dem byzantinischen beginnen, in diesem Fall spricht man vom "Märzjahr". Es konnte aber auch ein halbes Jahr früher beginnen, ein solches Jahr nennt man "Ultramärzjahr". Ein byzantinisches (September-) Jahr fiel folglich mit der zweiten Hälfte des Ultramärzjahres und der ersten Hälfte des Märzjahres zusammen. ... Neben dem Jahresbeginn im März – in beiden Formen, wobei das Ultramärzjahr eine Ausnahmen geblieben ist, die sich bald überlebt hatte – gibt es in der russischen Chronistik verschiedentlich auch Angaben, die einen mit der byzantinischen Zeitrechnung übereinstimmenden Jahresanfang am 1. September voraussetzen. Dieser Jahresanfang hatte sich im Laufe des 15. Jahrhunderts in Russland allgemein durchgesetzt." (Hoffmann: Einführung, S. 187f)
Peter I. führte den Julianischen Kalender mit der "dionysischen Berechnung" für sein ganzes Reich ein: Auf den 31. August des Jahres 7208 folgte der 1. Januar 1700.
1.2. Die Kalender-Reform Lenins
Peter der Große hatte zum 1. Januar 1700 den Julianischen Kalender einheitlich für sein ganzes Reich eingeführt. Dieser von Julius Caesar zum 1. Januar 45 v. Chr. begründete Kalender hatte unter Einbeziehung des Schaltjahres 365,25 Tage pro Jahr. 1 500 Jahre lang war er gültig. Erst im späten Mittelalter fiel den Astronomen auf, dass Kalender und Jahreszeiten nicht mehr übereinstimmten. Das Jahr war um 0,0078 Tage zu lang. Alle 128 Jahre wurde der Abstand zwischen Realität und Kalender um einen Tag um einen Tag größer.
1582 ordnete Papst Gregor der XIII. nach langen Beratungen mit Fachgelehrten an, diesen Fehler zu korrigieren. Er verkürzte das mittlere Kalenderjahr auf 365,2425 Tage. Von den Säkularjahren (volle 100) sollten nur diejenigen Schaltjahre sein, deren ersten beiden Ziffern durch vier teilbar sind. Die durch den Kalender Caesars bis zu diesem Datum bereits entstandene Zeitverschiebung von zehn Tagen glich er dadurch aus, dass auf den 4. Oktober 1582 der 15. Oktober folgte.
Da nur die katholische Welt den Gregorianischen Kalender schnell übernahm, gab es bis in das 20. Jahrhundert nicht einmal in der westlichen Welt ein einheitliches Datum für denselben Tag.
Mit Lenin begann in Russland eine neue Zeitrechnung - nicht nur politisch, auch im engen Sinne des Wortes, nämlich kalendarisch.
Im Log-Buch des Panzerkreuzers "Aurora" ist am 25. Oktober 1917 der Schuss mit der Bordkanone auf die Ermitage, den Winterpalast des Zaren, verzeichnet. Er gilt als Beginn des "Roten Oktober", mit dem Lenin die Kommunistische Revolution einleitete. Die "Aurora" ist als Museumsschiff in einem Seitenarm der Newa in Sankt Petersburg zu besichtigen. Und der Panzerkreuzer schmückt als geprägtes Relief den Orden der Oktoberrevolution (Bild 1/1). Der Korpus ist aus Silber, Hammer und Sichel aus Gold. Dieser Orden ist eine der höchsten Auszeichnungen in der Sowjetunion, die auch den großen Uhrenfabriken in der UdSSR verliehen wurde (Bild 1/2). (Quelle: Slava-Katalog von 1975)
Die Überprüfung der Zeitrechnung in Russland war eine überfällige Maßnahme. "Der Unterschied zwischen dem in Russland benutzten alten Stil (Julianischer Kalender) und dem in den meisten europäischen Ländern geltenden (Gregorianischen) Kalender führte mit dem enger werden der internationalen Beziehungen zu Problemen. Die Petersburger Akademie hatte deshalb vorgeschlagen, im Jahre 1830 zum neuen Stil (Gregorianischer Kalender, d. Verf.) überzugehen, aber dieser Vorschlag wurde von Nikolaus I. als "unzeitgemäß und nicht wünschenswert" abgelehnt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren das russische Außenministerium und auch die russische Flotte bereits völlig zur Datierung nach dem neuen Stil übergegangen. ... Hingewiesen sei darauf, dass in der russischen Arbeiterbewegung bereits seit der Februarrevolution weitgehend nach neuem Stil datiert wurde; den äußeren Anlass für diese Festlegung boten die Feiern zum 1. Mai 1917, den die russischen Arbeiter am gleichen Tag wie ihre Klassenbrüder in anderen Ländern begehen wollten." (Hoffmann: Einführung, S. 195)
Per Dekret entschied der Rat der Volkskommissare am 24. Januar 1918 des noch gültigen Julianischen Kalenders, den Gregorianischen Kalender zu übernehmen. (Was Peter I. noch per Ukas angeordnet hat, wurde 118 Jahre später per Dekret vom Rat der Volkskommissare entschieden)
Um die Zeitverschiebung zwischen den beiden Kalendern von mittlerweile 13 Tagen auszugleichen, wurde der 1. Februar 1918 alter Zeitrechnung zum 14. Februar der neuen Zeit - also: auf Mittwoch den 31. Januar 1918 folgte Donnerstag der 14. Februar 1918.
Der Beginn der Oktoberrevolution "wanderte" vom 25. Oktober auf den 7. November.
Diese Kalender-Reform hatte wohl drei Gründe:
- sie war ein gewollter Bruch der Bolschewiken mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, die das Zarentum immer unterstützt hatte;
- sie war eine (überfällige) Anpassung an die europäische Zeitrechnung;
- sie war schließlich dem Verlangen der proletarischen Revolutionäre in Russland geschuldet, die den 1. Mai am selben Tag wie ihre Genossen in Berlin, Paris und London feiern wollten.
Peter I. hatte zum 1 Januar 1700 per Ukas seine Zeitrechnung von heute auf morgen für sein ganzes Reich eingeführt.
Die Umsetzung der Lenin`schen Kalender Reform und damit dessen Geltungsbereich folgte dem Verlauf der Front. Er bezog sich also
auf den jeweiligen Machtbereich der Bolschwiken - d.h.: der Bereich dehnte sich von der Keimzelle Petrograd (dem späteren Leningrad) im Verlauf des Bürgerkrieges auf die einzelnen Sowjet-Republiken aus.
In den ersten Jahren nach der Leninschen Kalender-Reform wurden i.d.R. für bestimmte Ereignisse zwei Daten, nämlich "Alter Stil" (julianisch) und "Neuer Stil" (gregorianisch) angegeben. Dazu zwei Beispiele:
- Februar-Revolution: 27. 02. / 12.03. 1917
- Oktober-Revolution: 25. 10. / 07. 11. 1917
Die Kalender-Reform Lenins hatte auch Auswirkungen in ganz persönliche Bereiche. Das zeigt das Beispiel der am 20. Mai 1884, 4 Uhr früh, in Petersburg geborenen Wilhelmine Dorothea Freymann. Wilhelmine Dorothea erhält am 7. Oktober 1922 vom Polizeiamt Leipzig den Personalausweis Nr. 449. Und im Alter von 38 Jahren werden der in Petersburg geborenen mit Siegel und Unterschrift zwei Geburtstage bescheinigt: Unter "Geboren am" im Jahr 1884 stehen der 20. Mai und der 2. Juni. Mit Aushändigung ihrer "Einbürgerungsurkunde" am 17. September 1923 hat sie "die Staatsangehörigkeit in Sachsen durch Einbürgerung erworben und ist damit Deutsche geworden". Ihre beiden Geburtstage hat sie behalten – wobei der 2. Juni nachträglich eingetragen wurde.
Bei der Schreibweise der Reihenfolge dieser beiden Daten wurde der "Alte Stil" vor dem "Neuen Stil" genannt.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat die Kalenderreform von 1918 nicht mitgemacht. Noch heute wird beispielsweise Weihnachten nach dem alten Kalender und damit am 7. Januar gefeiert. Und das kirchliche Neujahrsfest ist am 14. Januar.
Noch etwas komplizierter verhält es sich mit Ostern: Ostern ist nach dem Gregorianischen Kalender immer am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem oder auf dem kalendarischen Frühlingsanfang. Das hat das Konzil von Niza im Jahr 325 festgelegt. Kalendarischer Frühlingsanfang ist im Westen der 21. März. Demnach ist Ostern frühestens am 22. März und spätestens am 26. April.
Nach dem Russisch-Orthodoxen Kalender, dem Julianischen, ist Frühlingsanfang am 2. April. Demnach ist dort Ostern frühestens am 3. April und spätestens am 8. Mai. Komplizierend kommt hinzu, dass das Russisch-Orthodoxe Osterfest nach dem Jüdischen Passah-Fest fallen muss (etwa 26. März bis 25. April).
Bei meinen Recherchen zu den Kalender-Reformen in Russland habe ich sehr hilfreiche Unterstützung bei den Damen des Museums der Peter-Paul-Festung und denen der National-Bibliothek in St. Petersburg gefunden.
Beide Institutionen haben mir Kalendarien für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
Der Wand-Kalender der auf Deutsch erschienenen "St. Petersburger Zeitung" von 1903 zeigt deutlich, dass der 19. Januar 1903 nach dem Gregorianischen Kalender auf den 1. Februar 1903 des damals in Russland gültigen Julianischen Kalender fällt.
Und der 19. Dezember 1904 fällt auf den 1. Januar 1904.(Quelle: National-Bibliothek in St. Petersburg)
Im ersten Kalender-Jahr nach der Kalender-Reform, 1919, sieht das Bild auf den Russischen Jahres-Kalendern (Dok. 1/2) ähnlich aus: Die Zeitrechnung "Neuen Stils" ist in großen Ziffern zu lesen, die des "Alten Stils" in kleinen Ziffern darunter. Die Sonntage und die bolschewistischen Feiertage sind rot gekennzeichnet – das gilt auch für das russich-orthodoxe Weihnachten am 7. Und 8. Januar. Das christliche Weihnachten, der 25. Und 26. Dezember, sind in schwarz als normale Arbeitstage gekennzeichnet. (Quelle: National-Bibliothek in St. Petersburg)
Die beiden Tafel-Kalender von 1927 und 1929 sind in dem zu dieser Zeit seit ca. zehn Jahren etablierten "Neuen Stil". (Quelle: Museum der Peter-Pauls-Festung in St. Petersburg) Die Sonntage und die bolschewistischen Feiertage sind auch hier rot gekennzeichnet. Das Christliche Weihnachten, der 25. Und 26. Dezember, sind ebenfalls als Feiertage gekennzeichnet. Eine Erklärung dafür konnte mir keiner geben – zumal das russisch orthodoxe Weihnachte am 7. und 8. Januar nicht rot markiert ist.
Der Kalender von 1929 ist für mehr als zehn Jahre der letzte dieser Art. Ab Oktober 1929 gilt der "Revolutions-Kalender".
1.3. Die Kalender-Reform Stalins
Der "Revolutions-Kalender" von Stalin ist eine russische, genauer: sowjetische Besonderheit. Er betraf die Aufteilung des Gregorianischen Jahres mit seiner 7-Tage-Woche und dem christlich geprägten Ruhetag, dem Sonntag als dem 7. Tag.
Stalin machte daraus erst eine 5- dann 6-Tage-Woche.
Gedanken und Überlegungen für einen Revolutions-Kalender hat es in der frühen Sowjetunion über mehrere Jahre gegeben. Ein Beispiel dafür ist in der "Uhrmacher-Woche" abgedruckt:
"Wie die Telegraphen-Agentur der Sowjetunion bekannt gibt, hat der Ausschuss der staatlichen Planwirtschaftskommission, der mit der Prüfung der verschiedenen Projekte der Kalenderreform betraut war, mehr als hundert Projekte gesichtet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es am zweckmäßigsten wäre, den zur Zeit geltenden gregorianischen Kalender den neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen anzupassen. Danach soll die Zeitrechnung mit der Oktober-Revolution beginnen und der Jahresanfang auf den 1. November festgelegt werden. Somit würde die Zeitspanne vom 1. November 1929 bis zum 1. November 1930 als das Jahr 13, derselbe Zeitraum 1930/31 als das Jahr 14 usw. bezeichnet werden. Ein Jahr wird nach wie vor 365 bzw. 366 Tage - und zwar 360 Arbeitstage und 5 revolutionäre Festtage - zählen. An diesen Festtagen feiern alle Werktätigen, unabhängig von ihren sonstigen Ruhetagen, die jeder Arbeitende bekanntlich nach je vier Arbeitstagen genießt. Das Arbeitsjahr (360 Tage) zerfällt in vier Quartale mit je 90 Tagen, jedes Quartal in drei Monate mit je 30 Arbeitstagen. Dem Monat Februar werden zwei Tage angehängt, die den Monaten Januar und März entnommen werden. Die revolutionären Festtage werden so verteilt, dass sie stets auf den 31. Tag des Monats fallen. Die Zahl und Benennung der Monate bleibt unverändert. Jeder Monat wird in 3 Dekaden mit je 10 Tagen, in 6 Wochen mit je 5 Tagen eingeteilt." ("Die Uhrmacher-Woche", Nr. 9/1930, 22. Februar 1930, S. 170)
Die Diskussion um eine neue Einteilung der 365 (366) Tage des Jahres in "Arbeits-Wochen" mündete im Sommer und Herbst 1929 in mehreren Beschlüssen des Volkskommissariats der UdSSR über die Reorganisation der Arbeit in Betrieben und Institutionen (Dok. 1/4).
(Quelle: National-Bibliothek in St. Petersburg)
Und bereits für den Oktober 1929 gab es einen neuen Kalender, der für ein Jahr, bis September 1920, galt und in dem die 5-Schicht-Arbeitswoche mit unterschiedlichen Farben markiert war (Dok. 1/5). (Quelle: National-Bibliothek in St. Petersburg)
Jede Schicht musste vier Tage arbeiten und hatte an dem Tag, an dem der Kalender ihr Symbol zeigte, frei. Arbeitsfrei waren zusätzlich die fünf durch rote Sterne markierten einheitlichen Feiertage: 22. Januar, 1. und 2. Mai, 7. und 8. November. Diese Tage wurden bei der Schichteinteilung neutral behandelt.
Im Ergebnis sah die Arbeitsaufteilung folgendermaßen aus:
Das Jahr hatte 360 Arbeitstage (365 Tage des Jahres minus fünf einheitliche Feiertage). Bei fünf Arbeits-Schichten hatte das Jahr somit genau 72 Arbeits-Wochen.
Auch die Kalendarien für 1930 zeigten mit unterschiedlichen Symbolen die 5-Schicht-Arbeitswoche (Dok. 1/6) mit derselben Zeiteinteilung wie oben beschrieben. (Quelle: Museum der Peter-Pauls-Festung in St. Petersburg)
1932 ist das letzte Jahr mit fünf Schichten. Der Tafel-Kalender für 1932 zeigt drei Besonderheiten (Quelle: National-Bibliothek in St. Petersburg).
Im unteren Teil ist das Jahr mit der "klassischen" 7-Tage-Woche dargestellt. Die fünf einheitlichen Feiertage sind – kaum erkennbar – fett gedruckt. Im oberen Teil sind nur die Arbeits-Tage aufgeführt. Die fünf einheitlichen Feiertage fehlen in diesem Kalendarium.
1932 war ein Schaltjahr mit 366 Kalender-Tagen. Dieser 366ste Tag, der 29. Februar, war ein zusätzlicher Arbeitstag.
1932 hat Stalin sein System in zwei Punkten verändert, die ab 1933 wirksam wurden:
Aus fünf Arbeits-Schichten machte er sechs Schichten – er führte also eine 6-Tage-Woche ein. Damit wurden aus 72 Arbeits-Wochen 60 Arbeits-Wochen pro Jahr - mit der Konsequenz, dass jeder Arbeiter im Verlaufe des Jahres 12 Tage weniger frei hatte.
Die zweite Änderung betraf die fünf einheitlichen Feiertage. Sie blieben zwar Feiertage für alle, aber es waren keine zusätzlichen Feiertage mehr. Die Schicht, die an einem dieser Feiertage planmäßig frei hätte, wurde somit um einen freien Tag "betrogen".
Die beiden Wochen-Kalender von Mai 1933 (Dok. 1/8) und Mai 1937 (Dok. 1/9) sowie die beiden Jahres-Kalender von 1937 (Dok. 1/10) und die beiden von 1938 (Dok. 1/11) verdeutlichen die 6-Tage-Arbeits-Woche (Quellen: National-Bibliothek in St. Petersburg).
Stalins Revolutions-Kalender wies eine größere Anzahl von Ausnahmen und Besonderheiten auf - insbesondere für die Verwaltung.
Ein Kenner der Geschichte sagte mir bei meinen Recherchen in St. Petersburg:
Mag ja sein, dass dieser Kalender für die Arbeitsproduktivität hilfreich war. Aber gescheitert sei er daran, dass die Geburtenrate zurückging, weil Papa und Mama in unterschiedlichen Schichten arbeiteten und somit zu wenig Zeit gemeinsam verbringen könnten …
Was auch immer die Gründe waren:
Am 26. Juni 1940 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjet, zur klassischen 7-Tage-Woche zurückzukehren.
Zwei weitere Russische Besonderheiten im Umgang mit der Zeit, die ich hier nur als Stichworte nenne, sind die "Dekretzeit", die am 16. Juni 1930 eingeführt wurde, und der Umgang der Regierenden im Kreml mit der Einteilung ihres Reiches in verschiedene Zeitzonen.
1.4. Der französische Revolutions-Kalender
Die Kalenderreform Stalins hatte keine Auswirkungen auf die Uhrenindustrie. Aber Frankreich zeigt, dass dieses nach einer Revolution, die die gesellschaftlichen Fundamente eines Landes erschüttert, nicht selbstverständlich ist. Dazu schreibt Theodor Friedleben in seinem Kapitel "Der französische Revolutions-Kalender":
"Am 24. November 1793 wurde in Frankreich, durch ein Decret des Nationalconvents, eine neue Zeitrechnung eingeführt, die unter dem Namen des Revolutions-Kalenders bekannt ist. Die Epoche dieser Zeitrechnung wurde auf die Herbstnachtgleiche, d.i. auf den 22. September 1792 verlegt, als auf den Tag, an welchem Frankreich zur Republik erklärt worden war, so dass im September 1793 das 2te Jahr der Republik begann. Das tropische Sonnenjahr bestand aus 365 Tagen 5 Stunden 48 Minuten 48 Sekunden; das bürgerliche Jahr, aus gemeinen von 365, und aus Schaltjahren von 366 Tagen. Das bürgerliche Jahr bestand aus 12 Monaten, jeder von 30 Tagen, nach deren Verlauf im gemeinen Jahr 5, im Schaltjahr 6 Ergänzungstage (…) folgten. …
Der Eintritt der Sonne in das Zeichen der Waage, oder die Herbstnachtgleiche, womit allemal ein neues Jahr begann, wurde nach dem Pariser Meridian berechnet, und hiernach bestimmt, ob ein Jahr ein gemeines oder ein Schaltjahr seyn müsse. In der Regel war jedes 4te Jahr ein Schaltjahr, mitunter aber auch erst das 5te Jahr. …
Die 30 Tage eines jeden Monats waren in drei gleiche Theile, jeder von 10 Tagen, eine Decade genannt, eingetheilt. … Der bürgerliche Tag, welcher von einer Mitternacht bis zur anderen ging, sollte 10 Stunden, eine Stunde 100 Minuten und eine Minute 100 Sekunden haben.
Diese Zeitrechnung, die im Privatleben nie festen Fuß faßte, erlebte nur ein Alter von 13 Jahren, indem sie bereits durch ein Senatsdecret vom 9. September 1805, auf Befehl des damaligen Kaisers Napoleon, wie sie es verdiente, abgeschafft, und mit der vorher üblich gewesenen christlichen Zeitrechnung neuen Styls wieder vertauscht wurde." (Friedleben: Lehrbuch der Chronologie, S. 273f)
Die Dezimalteilung des Tages brachte erhebliche Probleme für die Hersteller von Uhren mit sich. Und es ist in den Jahren nach der Revolution nicht gelungen, den "zeitgerechten" Uhrenbedarf für den französischen Markt zu decken.