Russische Uhren
Uhren für die UdSSR
Nach der Oktober-Revolution war die Einfuhr von Uhren und Uhrenteilen drastisch zurückgegangen. Von 1917 bis 1923, bedingt durch den Bürgerkrieg und die inneren Unruhen, hatte es keine nennenswerten Importe gegeben. Das änderte sich, als 1923 die Einfuhrbestimmungen im Rahmen des Staatlichen Außenhandelsmonopols deutlich erleichtert wurden und sowjetische Handelsvertretungen im Ausland sowie ausländische in der Sowjetunion zugelassen wurden. Das Außenhandelsmonopol lag in der UdSSR beim Volkskommissariat für Außenhandel in Moskau. Alle Vertreter russischer Firmen oder Institutionen, die als Ein- oder Verkäufer im Ausland tätig waren, unterstanden der direkten Leitung und Kontrolle der jeweiligen sowjetischen Botschaft bzw. Vertretung.
Für die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der UdSSR war der Rapallo-Vertrag vom 16. April 1922 eine wesentliche Grundlage. Ziel dieses Freundschafts- und Wirtschaftsvertrags war es, ein gutes Einvernehmen zwischen den beiden Staaten herzustellen und friedliche Handelsbeziehungen zu pflegen. Auf dieser Grundlage wurde "Siemens-Halske" zum führenden Importeur für elektrische Uhren und "Junghans" für Wecker.
Ein Beispiel für die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft ist die Lieferung von "2 Stück Marine Box Chronometer" von A. Lange & Söhne in Glashütte an "Die Handelsvertretung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet Republik, Abteilung: E, Berlin 10, Lützow Ufer 1".
Der Auftrag für diese beiden Chronometer wurde bereits am 27. Februar 1922 erteilt – sechs Wochen vor "Rapallo". Die Lieferung erfolgte am 4. Mai 1922 – drei Wochen nach "Rapallo".
Zur Zarenzeit hatten die Russen die Rohwerke für ihre Chronometer aus England bezogen. Diese "2 Stück Marine Box Chronometer" waren die ersten Chronometer, die nach der Revolution in die Sowjetunion geliefert wurden. In den folgenden Jahren, bis 1931, hat A. Lange & Söhne dreizehn "13-Schlag-Chronometer" an die "Handelsvertretung der UdSSR in Berlin" bzw. an das "Technopromimport in Moskau" geliefert. Das waren bis 1940 die einzigen Lieferungen von Chronometern an die Sowjetunion (in Kapitel: "Marine-Uhren" gehe ich näher darauf ein).
Nach der Lockerung der Importbestimmungen stiegen auch wieder die Einfuhren von Uhren, Edelmetall- und Schmuckwaren.
Für die Zeit vom 1. Oktober 1923 bis zum 1. August 1924 und für den gleichen Zeitraum 1924-25 verzeichnet der russische Zoll folgende Stückzahlen:
Im Text dazu heißt es:
"Der Wert der Einfuhr ist in Rubel angegeben; 1 Rubel entspricht wie vor dem Kriege 216 Goldpfennigen.
Diese statistischen Ziffern spiegeln die tatsächlichen Verhältnisse noch viel weniger wider, als das bei der Statistik der übrigen Länder der Fall ist. Vermutlich ist die irreguläre Einfuhr, insbesondere diejenige über die westlichen Grenzen Sowjet-Russlands, um ein Vielfaches höher als die offiziell nachgewiesenen. Bei den goldenen und silbernen Uhren und den sonstigen Edelmetallwaren spielt weniger der Zoll eine Rolle als vielmehr die Befürchtung, dass diese Gegenstände eingezogen bezw. Mit einer hohen Steuer belastet werden. Dass im vergangenen Jahre bedeutend weniger Edelmetallwaren eingeführt wurden als im Jahre vorher, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Verkehr über die Grenze ein freierer geworden ist, daher mehr Leute als bisher ins Ausland reisen und die einem hohen Zoll unterliegenden Gegenstände ohne Entrichtung des Zolles mit hereinbringen."
(Deutsche Uhrmacher-Zeitung, DUZ, Nr. 1/1926, 01. 01. 26)
Diese Zahlen verdeutlichen drei Aspekte der russischen Uhrenindustrie in der NEP-Periode:
- Der Import von Taschenuhren war marginal.
- Der Import von Großuhren ist erheblich angestiegen.
- Der Import von Uhrwerken und Einzelteilen bildete die Basis für die Grundversorgung mit Wanduhren und Weckern.
Das, was die DUZ mit nüchternen Worten und Statistiken schreibt, ist 1924 in "ОГОНЕК" / "Ogonek" ("Flämmchen / Licht"), einem mit Verkaufsanzeigen angereicherten Journal, als eine humoristische Erzählung von Eduard Osmon abgedruckt.
Osmon lässt einen Vizekonsul über den Schmuggel von Schmuck und Uhren erzählen: Da ein Strauß nicht besonders wählerisch beim Fressen sei, habe man ihn mit der besagten Schmuggelware gefüttert. Es sei beabsichtigt gewesen, ihn nach passieren der Grenze, in der Sowjetunion, mit leichten Schlägen auf den Kopf dazu zu bewegen, die Wertsachen wieder auszuspucken.
"Ogonek" hatte eine Auflage von etwa 150 000 Exemplaren. Das Blatt wurde vor dem 1. Weltkrieg gegründet und ist bis Mitte der 20er Jahre - in der NEP-Periode mit den Ansätzen zu einer liberalen Teilprivatisierung - in der Sowjetunion erschienen.
Die von 1923/24 auf 1924/25 deutlich steigende Zahl bei den Weckern, Tisch und Wanduhren (Uhren, 130 - 1300 g) und bei den Uhrenteilen verdeutlichen den Bedarf an Zeitmessern in der Sowjetunion, der die Regierung in Moskau veranlasste, eine in Teilbereichen eigenständige Uhrenindustrie aufzubauen. Der deutliche Mangel an Uhren und anderen Industriegütern erklärt auch das kapitalistische Marketing in der kommunistischen Sowjetunion, wie Verkaufsanzeigen in "Ogonek" aus dem Jahr 1925 zeigen.
"Im Planjahr 1928/29 importierte die UdSSR noch insgesamt 88 Tonnen Uhrenmaterial für 979 000 Rubel aus Deutschland, England, Frankreich und den USA. ... Der Export von Uhren, Taschenuhren und Einzelteilen aus der Schweiz in die UdSSR betrug 1929 lediglich 1,222 Millionen Schweizer Franken. Das war für die Schweiz ein kaum ins Gewicht fallender Posten. Auch Angebote zur Kooperation mit der UdSSR wurden nicht akzeptiert." (Kornhardt: Moskau-Ruhla-Minsk, S. 8)
Sowjetische Uhren-Industrie
In der zweiten Hälfte der 20er Jahre unseres Jahrhunderts unternahm die junge Sowjetunion den nächsten Anlauf, eine eigenständige Uhrenindustrie aufzubauen. Dazu gab es seitens der Uhrenindustrie in der Schweiz, in Großbritannien und in Frankreich nur skeptische und sarkastische Bemerkungen.
In einem Prospekt der 2. Moskauer Uhrenfabrik, Slava, von 1989 wird einer der, wie es dort heißt, "Uhrenkönige", "Feuil d´ Avy de Lausat", zitiert: "Weder heute noch morgen werden die Sowjets in der Lage sein, Uhrmacher zu werden."
Dass es sich hier um die Schweizer Tageszeitung "Feuille d Avis de Lausanne" und nicht um einen "Uhrenkönig" handelt, ist für den Kern der Aussage nicht wichtig.
Die Anfänge der sowjetischen Uhrenindustrie sind auch bei den großen Uhren-Produzenten in Deutschland auf wenig Verständnis gestoßen. In Notizen der Deutschen Uhrmacher-Zeitung heißt es dazu:
"Wie wir schon bei einer früheren Mitteilung über die Schaffung einer russischen Uhrenindustrie bemerkten, lag für Russland überhaupt keine Veranlassung vor, eine Uhrenfabrik einzurichten, da es Uhren zu einem viel niedrigeren Preis von anderen Ländern kaufen kann, als es sie selbst herstellen kann. Wenn Russland kostspielige Experimente mit der Uhrenerzeugung anstellt, kann dies übrigens den anderen Ländern gleichgültig sein, da die Ausfuhr von Taschen- und Armbanduhren nach der Sowjetunion nach wie vor herzlich unbedeutend ist." (DUZ, Nr. 19/1930, 10. 05. 30, S. 332)
Und:
"Wir Deutschen haben ebenso wenig wie die Schweizer Veranlassung, den Russen Erfolg zu wünschen bei Bestrebungen, die unsere Ausfuhr schädigen, und bei denen der Erfolg nur dadurch ermöglicht wird, dass deutsche und schweizerische geschulte Kräfte unter Schädigung ihrer heimischen Ausfuhr den Nachbarn bei der Erreichung ihrer autarkischen Bestrebungen behilflich sind." (DUZ, Nr. 39/1933, 23. 09. 33, S. 509)
Diese Sicht - einmal aus rein wirtschaftlichem Blickwinkel, einmal durch den politischen und ideologischen Zeitgeist gefärbt - ist sehr einseitig. Sie verkennt die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zwischen dem kapitalistischen Westen und der kommunistischen Sowjetunion in den 20er und 30er Jahren:
Eine sehr gute Abhandlung über die Anfänge der Uhrenindustrie in der Sowjetunion hat P. M. Romanow mit seinem Buch: "ДЕТИЩЕ ПЕРВОЙ ПЯТИЛЕТКИ" / "Aus den Kindertagen des ersten 5-Jahr-Plans" (Moskau, 1985) geschrieben. Dabei hat er die Unterlagen des Zentralen Staatsarchivs für Nationalökonomie, des Staatsarchivs der Region Moskau, Publikationen, Zeitungen und Aufzeichnungen ausgewertet und Zeitzeugen befragt. Schwerpunkt seiner Abhandlung sind die Zeit unmittelbar nach der Revolution und die Schwierigkeiten, mit denen die beider Staatlichen Uhrenfabriken in den ersten Jahren zu kämpfen hatten. Romanow hat keine einzige Uhr beschrieben. Er bietet aber einen politischen und gesellschaftlichen Hintergrund, der für das Zeitverständnis sehr hilfreich ist.
Über den Neuanfang nach der Revolution schreibt Romanow zusammenfassend:
"Im Jahre 1919 befand sich die gesamte Uhrenproduktion des sowjetischen Russland unter Leitung der Uhrenagentur, die eine Unterabteilung des "ВСНХ" (WSNX: Allrussischer Sowjet der Volkswirtschaft) war. 1920 wurde das Lenkungsorgan für Feinmechanik eingerichtet. Ihm wurde die Uhrenagentur unterstellt.
Der Umfang der damaligen Uhrenindustrie wird aus einer Aufzählung der übergebenen Objekte deutlich: Die erste staatliche Uhrenfabrik "НОВЪ" / "NOW" (ehemals die Fabrik Reinin), die seit 1918 außer Betrieb war; ...; die staatliche Fabrik für Wanduhren in Scharapow (ehemals die Fabrik W. Platow); das Lager für Halbfertigteile der Fabrik von P. Bure; die zentrale Reparaturwerkstatt (ehemals Moser) und Kleinwerkstätten - insgesamt 149.
Die Produktion wurde in den bestehenden Betrieben neu organisiert. 1922 begann "АВИАПРИБОР" / "Aviapribor" mit der Produktion von "ХОДИКИ" / "Chodiki". Innerhalb von zwei Jahren wurden hier 20 700 Wanduhren und 37 300 Wecker aus importierten Teilen produziert. Um die Kosten zu reduzieren, wurde die Uhrenfabrik "НОВЪ" / "NOW" durch Verfügung des "Allrussischen Sowjet der Volkswirtschaft" vom 7. April 1924 in "Aviapribor" eingegliedert. Nach diesem Zusammenschluss produzierte "Aviapribor" im Wirtschaftsjahr 1925/26 etwa 150 000 Wanduhren und 350 000 Wecker. 1928 hat "МЭМЗ" / "MEMZ" (der Moskauer Elektro-Mechanische Betrieb) die Montage von Weckern aufgenommen. 1930 wurde die gesamte Uhrenproduktion von "Aviapribor" auf "MEMZ" verlagert."
Zu ergänzen ist eine der Aufgaben der 1917 gegründeten "ЦЕНТРОСОЮЗ" / "Zentrosojus" (Zentrale Vereinigung der Verbrauchergesellschaften), die Romanow nur kurz erwähnt.
Dazu gehören auch die Wecker mit der Zifferblatt-Beschriftung: "ПЕРВЫЙ СОРТЪ" / Erste Sorte von "Junghans" und "1 СОРТЪ" aus dem Warschauer Zweigwerk von "Lorenz Furtwängler & Söhne".
Uhren mit solchen Zifferblatt-Beschriftungen gab es auch schon zur Zarenzeit, wie Abbildungen in dem Buch. "Timepieces" des Polytechnischen Museums in Moskau zeigen - damals noch mit der Aufschrift: "РОССИЯ 1. СОРТЪ" (Timepieces, Bild 145).
Andere Uhren aus der Zarenzeit, wie der Wecker von "Mauthe", Modell "K 17", trugen die Porträts von Kindern der Zarenfamilie.
Die Zifferblätter dieser Uhren waren aus Papier. Sie wurden auch nach der Revolution - wie auf dem Bild 66 in "Timepieces" an Hammer und Sichel erkennbar - in Kontingenten von 25 Tausend Stück gedruckt
In den ersten Jahren nach der Revolution war "Zentrosojus" zuständig für den Zusammenbau von Weckern aus importierten Einzelteilen. Die Gehäuse und Zifferblätter für diese Uhren wurden in Russland hergestellt. Hauptlieferant für die Teile der Uhrwerke war "Junghans".
Das Junghans-Logo auf dem Zifferblatt von "Zentrosoju_1" gibt bereits seit dem 23. Juli 1890.
Die Signatur auf den Werken dieser beiden Wecker, "Junghans, Modell 10", stammt von 1917/18. Und der Schmetterling auf dem Zifferblatt des Weckers "Zentrosojus_2" wurde am 13. Februar 1925 als Firmenlogo von Junghans registriert.
Es gibt auch Uhren, denen "ЦЕНТРОСОЮЗ" einfach nur seinen Stempel aufgedrückt hat. Das zeigt die Taschenuhr von Junghans mit dem Kaliber "J 33b".
Das "J 33" wurde ab 1923 gebaut. Damit gehört diese Uhr mit einer Junghans-Signatur, die es bereits seit 1910 gab, auf Zifferblatt und Werk offensichtlich zu den oben erwähnten verzollten "Taschenuhren ohne Edelmetall".
Aviapribor
Die Staatliche Verwaltung für Feinmechanik in Moskau hatte bereits 1922, kurz nach dem Bürgerkrieg, die "Aviapribor" als einen Zusammenschluß unterschiedlicher Einrichtungen für feinmechanische Geräte gegründet. Primäre Aufgabe von "Aviapribor" waren Zusammenbau (Remontage), Reparatur und Herstellung elektronischer und elektromechanischer Geräte für Flugzeuge. Eine weitere Aufgabe, insbesondere ab etwa 1924, war die Remontage von Weckern und elektrischen Uhren aus Einzelteilen, die aus Deutschland von "Junghans" und "Siemens-Halske" in großen Stückzahlen importiert wurden, sowie der Bau von Wanduhren, den "ХОДИКИ" / "Chodiki".
"Aviapribor" hatte bereits in frühen Jahren von "Zentrosojus" die Remontage von Weckern übernommen. Der Zusammenbau von Taschenuhren aus importierten Einzelteilen spielte in den 20er Jahren nur eine sehr geringe Rolle.
MEMZ
Am 29. November 1924 wurde "МЕМЗ" / "MEMZ", der "Moskauer Elektro-Mechanische Betrieb", gegründet. Es war ein Staatlicher Wirtschaftsbetrieb, der aus kleineren Werkstätten des Militär-Technischen Amtes der Roten Armee, RKKA, hervorgegangen ist. MEMZ und "Aviapribor" hatten in den ersten Jahren gleichgerichtete Aufgaben. 1927 erfolgte eine Arbeitsteilung, bei der MEMZ zunehmend für Uhren und "Aviapribor" in erster Linie für militärische Aufgaben zuständig wurden.
Das vom Moskauer Rat für Volkswirtschaft, dem sowjetischen Wirtschaftsministerium, vorgegebene Ziel für MEMZ war es, die neu entstehenden Industriebetriebe in der Sowjetunion mit elektrischen Uhren auszurüsten und unabhängig zu werden von Importen elektrischer Uhren. Ein Jahr nach Firmengründung, zum Jahreswechsel 1925/26, wurden - wie bei "Aviapribor" - die ersten elektrischen Sekundär-Uhren aus Einzelteilen, die von "Siemens-Halske" kamen, gebaut. Es dauerte allerdings noch fast zehn Jahre bis zur Serienreife des ersten selbstentwickelten Werks für elektrische Uhren. Aber bereits 1930 ist für Uhrmacher das erste Buch über elektrische Uhren in Moskau erschienen: А. Г. ИЛЪИН: ЭЛЕКТРИЧЕСКИЕ ЧАСЫ
Der zweite Bereich, in dem die junge Sowjetunion nach Unabhängigkeit strebte, war die Herstellung eigener Wecker und Wanduhren. Diese Aufgabe wurde von den anfänglichen Bemühungen der "Aviapribor" auf MEMZ übertragen. 1928 legte die Konstrukteurabteilung von MEMZ die fertigen Zeichnungen und Pläne für den ersten sowjetischen Wecker vor. Grundlage war der von "Junghans" importierte Wecker, Typ "Bravo"
Der "Bravo" hatte das Werk "Junghans 222". Den abgebildeten Wecker mit der verwitterten Leuchtmasse habe ich 1995 auf dem Floh- und Antikmarkt "Vernisage" in Moskau gekauft. Er trägt auf Zifferblatt und Werk einen Schmetterling als Signatur. Junghans hat dieses Logo am 13. Februar 1925 registrieren lassen.
Im folgenden Jahr wurden in dem Moskauer Betrieb die Einrichtungen zur Herstellung der Gehäuse, Platinen, Räder und anderer Teile fertiggestellt. Inwieweit der "Konsignationsvertrag" von 1925 zwischen der "Gebrüder Thiel GmbH" und der Handelsvertretung der Sowjetunion in Deutschland und die von Thiel gelieferten Maschinen Teil dieser Einrichtung waren und damit zur Produktion der "B 1" beigetragen haben, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Die Produktion des russischen "Bravo" mit der Typenbezeichnung "B-1" lief 1929 an.
"ГОС ТРЕСТ ТОЧ МЕХ" - das Firmen-Logo
In der "NEP-Periode" (1922 bis 1928) hat es unter staatlicher Leitung mehrere Trusts gegeben. Es waren wirtschaftliche Vereinigungen unterschiedlicher Produktionseinheiten eines Industriezweiges. Sie wurden während des ersten Fünfjahrplans (1928 bis 1932) aufgelöst oder sie sind in neugegründete Firmen integriert worden.
Einer von diesen Trusts, zu dem auch der Moskauer Elektro-Mechanische Betrieb MEMZ gehörte, war der "Staats-Trust für Feinmechanik"
"ГОСУДАРСТВЕННЫЙ ТРЕСТ ТОЧНАЯ МЕХАНИКА" kurz:
"ГОС ТРЕСТ ТОЧ МЕХ" / "Gostrest Totschmech".
Langjähriger Technischer Direktor dieses Trusts war Andrei Michailowitsch Bodrow. Er hat sich mit großem Nachdruck für den Aufbau einer Industrie zur Produktion von Uhren in der Sowjetunion und für die Ausbildung in Uhrmacherschulen eingesetzt.
Die Beschriftung auf dem Zifferblatt:
ГОС ТРЕСТ \ ТОЧНОЙ МЕХАНИКИ
Ist inhaltlich identisch mit der obigen Ableitung des Firmen-Logos
Die Taschen- und Armbanduhren, die bei MEMZ remontiert wurden, tragen als Firmen-Logo auf dem Zifferblatt die Kurzfassung des Trusts:
"ГОС ТРЕСТ" und "ТОЧ МЕХ"
Ich habe mehr als 20 Armbanduhren mit der Zifferblatt-Aufschrift
ГОСТРЕСТ in meiner Sammlung.
Diese Armbanduhren haben drei unterschiedliche Werke, die offensichtlich aus der Schweiz kommen.
Die Gehäuse dieser Armbanduhren sind zum Teil umgearbeitete Taschenuhr-Gehäuse mit einem Rückdeckel, der über ein Scharnier geöffnet wird, und auch frühe Armbanduhr-Gehäuse mit gedrücktem Rückdeckel.
Einige Uhren haben auch im Rückdeckel ein Firmen-Logo als Deckelinschrift. Mir fehlt jedoch der Zugang, um diese eindeutig zuzuordnen.
Da MEMZ keine eigenen Uhrwerke für Taschen- oder Armbanduhren hergestellt hat, sind auf den Brücken und Kloben dieser Zeit auch keine kyrillischen Punzen zu finden. Die Uhrwerke sind entweder ohne jede Kennzeichnung, oder sie tragen die Kennungen der Hersteller, die sie geliefert haben. Zu letzteren gehörten beispielsweise die "TIP-TOP" und die von Dueber-Hampden gelieferten Halbfertigprodukte, die im Sommer und Herbst 1930, als es die 1. Moskauer Uhrenfabrik noch nicht gab, bei MEMZ remontiert wurden (darauf gehe ich in dem Kapitel über die 1. Staatliche Uhrenfabrik, 1 ГЧЗ, ein).
MEMZ hat neben den bisher beschriebenen einfachen Uhren auch Präzisionsuhren, die noch aus der Zarenzeit stammten, fertig gestellt.
Ein Beispiel dafür ist die Rattrapante mit der Beschriftung "ГОС ТРЕСТ ТОЧ МЕХ" auf dem Zifferblatt und dem Firmenlogo von Valjoux auf dem "Valjoux 24"-Werk mit der Serien-Nr. 3231.
Ein weiteres Beispiel ist eine Rattrapante des Zentralverbandes der Gewerkschaften in der Sowjetunion " В Ц С П С."
ВСЕСОЮЗНЫЙ
ЦЕНТРАЛЪНЫЙ
СОВЕТ
ПРОФЕССИОНАЛЪНЫХ
СОЮЗОВ
Für die kulturelle Versorgung: КУЛЪТСНАБ
Nach den Wirren des Bürgerkrieges hat es noch eine große Anzahl von Taschenuhren aus der Zarenzeit gegeben. Dazu gehörten viele Uhren von Moser aber auch Eisenbahner-Uhren von Tavannes Watch Co. sowie andere.
Das Volkskommissariat für den öffentlichen Verkehr "НАРОДНЫЙ КОМИССАРИАТ ПУТЕЙ СООБЩЕНИЯ" "Н.К.П.С." hatte alle verfügbaren Taschenuhren requiriert. Und der "Staats-Trust für Feinmechanik" in Moskau, "ГОС ТРЕСТ ТОЧ МЕХ" hat sie entweder nur mit seinem Schriftzug oder mit dem zusätzlichen Hinweis: Im Auftrag des Volkskommissariats: ПО ЗАКАЗУ Н.К.П.С. dem öffentlichen Verkehr wie beispielsweise Schifffahrt, Luftfahrt und Eisenbahn zur Verfügung gestellt.
Für wen diese Uhren bestimmt waren, lässt sich nur erkennen, wenn die Zweckbestimmung auf dem Rückdeckel eingraviert ist.
Einige dieser Taschenuhren mit der Zifferblatt-Signatur "ГОСТРЕСТ ТОЧМЕХ МОСКВА" wurden nach alter russischer Tradition auch für besondere Verdienste als Auszeichnung verliehen.
Nach der Umbenennung des "Moskauer Elektro-Mechanischen Betriebs "MEMZ" in "2. Staatliche Uhrenfabrik" am 5. November 1930 wird der Staats-Trust für Feinmechanik aufgelöst. MEMZ geht als Keimzelle in die neugegründete Uhrenfabrik auf. "ГОС ТРЕСТ ТОЧ МЕХ" als Firmen-Logo für Uhren gibt es von diesem Datum an nicht mehr. Wenn Uhren mit einem späteren Herstellungsdatum auf dem Zifferblatt oder auf dem Rückdeckel das "MEMZ-Logo" tragen, ist dieses Teil wahrscheinlich bei Reparaturen von anderen Uhren oder aus Restbeständen genommen worden. Dazu dürften auch die beiden TYP 1 mit Werken aus der 1. Moskauer Uhrenfabrik und aus Slatoust gehören, die eine besondere Form des Logos auf dem silbernen Zifferblatt haben.