Russische Uhren
B-Uhren
In dem Unter-Kapitel: „Schiffe und Uhren – 1917 bis 1945“ habe ich aufgezeigt, dass die 1. Staatliche Uhrenfabrik - 1 ГЧЗ - die ersten B-Uhren im Jahr 1940 gebaut hat. Kriegsbedingt war die russische Marine auch weiterhin auf Importe von B-Uhren angewiesen. Neben Ulysse-Nardin war Lemania der Hauptlieferant.
Zu den im Hitler-Stalin-Pakt gemäß Liste 2 und Liste 4 vorgesehenen Lieferungen von insgesamt 200 Decks Uhren aus Deutschland ist es nicht gekommen.
Nach dem Krieg hat A. Lange & Söhne (ALS) auch 156 B-Uhren mit dem „Kaliber 48“ als Reparation an verschiedene russische Personen und Dienststellen geliefert.
Ich habe die „B-Uhren“ im Anhang: „ALS – Reparationen“ im Detail aufgelistet und das „ALS_200172“ als ein typisches Beispiel für die B-Uhren von Lange aus der Kriegs-Produktion abgebildet.
Und ALS hat 356 „Flotten-Chronometer Typ >B<“ mit dem „Kaliber 48“ als Reparation geliefert.
Ich habe die „Flotten-Chronometer Typ >B<“ im Anhang: „ALS – Reparationen“ im Detail aufgelistet und das „ALS_207 681 >B<“ als ein typisches Beispiel für diese Flotten-Chronometer von Lange aus Reparations-Lieferungen abgebildet.
Das dort abgebildete >ALS_Flotten-Chronometer Typ „B“_ „207 681 B“< ist am 11. Oktober 1945 in Auftrag gegeben und am 28. November 1945 an die russische Importgesellschaft „Komitenta B/O techn. Import“ geliefert worden.
Im „Versandbuch-Original“ von ALS wird die B-Uhr wie folgt definiert:
„Marine-Beobachtungs-Uhren
Mit 1/5 Sekundenschlag, Ankergang, 35 Stunden Gangdauer, mit Auf- und Abwerk zum Anzeigen der Federspannung, in Silbergehäuse (Mittelteil aus 900ff Silber, Böden und Glasreifen silberplattiert), 16-steiniges Werk, Gangabweichung: täglich bis 1 Sekunde.“
(A. Lange & Söhne, Versandbuch-Original, 25. Juni 1948, Seite 10430)
Die B-Uhr von Lange ist - bei höchster Präzision - einfacher aufgebaut als die B-Uhren von Ulysse-Nardin.
Anders als beim „Deutschen Einheits-Chronometer“, das Grundlage für das russische Marine-Chronometer 6 MX wurde, haben die Experten des „Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für die Uhren-Industrie“, in Moskau, „НИИ ЧАСПРОМ“, nicht auf das Kaliber 48 von ALS gesetzt sondern die Linie von Ulysse-Nardin wieder aufgenommen.
Bei der „ЧП“ (ЧАСЫ ПАЛУБНЫЕ / Decks Uhr) wurde der 1940 begonnene Lizenzbau von Ulysse-Nardin bereits 1945 in den Werkshallen der 1. Moskauer Uhrenfabrik (1 МЧЗ) fortgesetzt.
Insgesamt wurden bis 1994 mehr als 20.000 Stück gebaut. Die jüngsten davon, die mir bekannt sind, sind die „21918_1-94“ aus meiner Sammlung und die „21184_4-93“, zu der die mir der ПАСПОРТ vorliegt.
Über die Anfänge aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre liegen mir keine Unterlagen vor. Aus meiner Sammlung ist das „N 531_2-52“ das älteste der Nachkriegs-Produktion. Mark Gordon, der auf seiner Homepage (www.ussrtime.com) unter dem Stichwort „deck watch“ sieben russische B-Uhren zeigt, hat auch die „N 367_2-51“.
Ein wenig Statistik:
Wenn man, wie in dem Faltblatt der 1. Moskauer Uhrenfabrik nachzulesen, unterstellt, dass die 1 МЧЗ im ersten Quartal nach Kriegsende – also im 3. Quartal 1945 – mit der Produktion der „ЧП“ begonnen und mit der Serien-Nummer «N-1“ angefangen hat,
dann hat die 1 МЧЗ in den ersten sieben Jahren etwa 600 „ЧП“ gebaut.
Das sind ca. 85 Stück pro Jahr.
Die geringe Stückzahl der ersten Jahre hatte offensichtlich zwei Gründe:
1. Die Produktion musste 1945 nach den Wirren des Krieges und der Evakuierung der 1 ГЧЗ im Herbst 1941 in den Ural erst wieder in Moskau aufgebaut werden.
2. Durch die Reparationen von A. Lange & Söhne und die noch vorhandenen B-Uhren aus der Vorkriegszeit bestand kein akuter Bedarf für die „Rote Flotte“.
Von 4-52 (N-638) bis 4-53 (N-933) waren es schon 300 pro Jahr.
In den 18 Jahren von 1-53 (N-760) bis 1-71 (N-8877) waren es 450 Stück pro Jahr.
In den 23 Jahren von 1-71 (N-8877) bis 1-91 (21918) waren es 565 pro Jahr.
Die B-Uhren wurden in einer drei-teiligen Holzschatulle zusammen mit dem ПАСПОРТ, dem Dokument für die jeweilige Uhr, und einer technischen Betriebsanleitung geliefert.
Die B-Uhr ist, wie auch das 6 MX in vielen Katalogen von Poljot mit einer technischen Kurzbeschreibung abgebildet. Dazu fünf Abbildungen aus Katalogen von 1993 und 1998.
Bilder aus Katalogen sind immer nur eine Momentaufnahme zu Marketingzwecken. Sie geben keine Auskunft darüber, wie die technische Entwicklung bis zu dem jeweiligen Bild gewesen ist.
Ein Blick in das schon mehrfach zitierte Heft über Spezial-Uhren aus den Jahr 1967 mit den handschriftlichen Anmerkungen eines russischen Uhrmachers zur „ЧП“ zeigt, dass Änderungen bei den Normen und damit auch bei den Uhren vorgenommen wurden.
Ich habe anhand der neun „ЧП“ meiner Sammlung aus der Nachkriegs-Produktion zusammengestellt, woran ein Liebhaber die unterschiedlichen Entwicklungsstufen dieser B-Uhr erkennen kann.
Die B-Uhr von Ulysse-Nardin hatte einen komplizierten Mechanismus für die indirekte Zentral-Sekunde. Das Werk hatte 24 Lager- und Decksteine. Die Russen haben diese Technik übernommen.
Der einzig erkennbare Unterschied zwischen der Vorkriegs-Produktion aus Moskau (Bild 1) und den Nachkriegs-„ЧП“ mit 24 Lager- und Decksteinen liegt in der Einkerbung am Unruh-Kloben, wo das Spiral-Klötzchen verschraubt ist.
Bis Ende 1952 hatten die Platinen und Kloben dieser „ЧП“ eine körnig vergoldete Oberfläche (Bild 2).
Ab dem 1. Quartal 1953 waren die vergoldeten Brücken und Kloben dann mit „Genfer Streifen“ verziert (Bild 3).
Es gibt zwei wesentliche technische Veränderungen, die ich jedoch zeitlich nur ungefähr einordnen kann, weil ich keine schriftlichen Unterlagen habe und die mir zugänglichen Abbildungen - einschließlich der deck watches von Mark Gordon - von der Stückzahl zu gering sind:
In den ersten etwa zehn Jahren hatte die „ЧП“ noch 24 Lager- und Decksteine. Die Konstruktion für die indirekte Zentral-Sekunde war noch so, wie sie vor dem Krieg von Ulysse-Nardin übernommen wurde (Bilder 1 bis 3).
Bei diesen Uhren waren die Zeiger für Stunde und Minute sowie die Ziffern von 1 bis 12 mit einer Radium-haltigen Leuchtmasse ausgelegt.
Dann wurde – bis zum Ende der Produktion – die Technik für die indirekte Zentral-Sekunde vereinfacht und die Uhr brauchte nur noch 22 Steine (Bilder 4, 5, 7).
Die Zeiger waren dann aus gebläutem Stahl und die Ziffern schlicht in schwarz.
Bis Ende 1976 erfolgte der Aufzug über das Kronrad und die Zeigerstellung über ein „pin set“, wie an meiner „11844_2-76“ (Bilder 5, 6) zu sehen.
Ab Anfang 1977 erhielt die „ЧП“ eine Technik mit Aufzug und Zeigerstellung über das Kronrad (Bilder 7,8). Sie ist – auch ohne unter das Zifferblatt zu sehen – daran zu erkennen, dass der „pin“ zur Zeigerstellung bei „11:30“ nicht mehr vorhanden ist.
Beim genauen Hinsehen kann man erkennen, dass die „Genfer Streifen“ zum Ende der Produktionszeit etwas schmaler geworden sind - wie bei meiner „21918_1-94“ zu sehen (Bild 7).
Das jeweilige Logo auf dem Zifferblatt und auf der Federhaus-Brücke entspricht dem Zeitgeist. Nach dem ersten Weltraumflug von Juri Gagarin am 12. April 1961 wurde die „1. Moskauer Uhrenfabrik“ (1 МЧЗ) umbenannt in „Poljot“ (ПОЛЕТ). Dementsprechend wurden auch die Signaturen geändert, wie auf den Bildern zu den einzelnen „ЧП“ erkennbar.
Auf die Plaketten auf der Vordersite der Holzschatullen späterer „ЧП“ gehe ich nicht ein, da ich keine Unterlagen habe zu den beiden Normen:
- „ГОСТ 17156-71“ („N-8877_1-71“) und
- „ТУ 25-07.1510-83“ („11844_2-76“ und „21918_1-94“; Die drei-teilige Holzschatulle mit der ТУ-Norm aus dem Jahr 1983 ist offensichtlich nicht die Original Schatulle für das „11844“ aus dem 2. Quartal 1976)
Ein Vergleich der „Ulysse-Nardin_27893“ mit der militärischen Signatur auf dem Rückdeckel, die ich in dem Unter-Kapitel: „1917 bis 1945“ abgebildet habe, mit den B-Uhren aus Moskauer Produktion zeigt eine Auffälligkeit:
Keine der mir bekannten ЧАСЫ ПАЛУБНЫЕ der 1 МЧЗ / ПОЛЕТ hat eine militärische Signatur. Das ist ein Indiz dafür, dass sie ausschließlich für militärische bzw. hoheitliche Einsätze gebaut wurden.
ЧАСЫ ПАЛУБНЫЕ - Bilderserien
“N-531_2-52“
“N-638_4-52“
“N-933_4-53“
“N-1050_1-54“
“N-2522_3-57“
“N-8877_1-71“
“N-8972_1-71“
“11844_2-76“
“21918_1-94“