Russische Uhren
1945 bis 2000 - Vorspann
Nach dem „Großen Vaterländischen Krieg“ hat die Sowjetunion die Produktion von Uhren für Schiffe und für die Navigation in küstennahen Gewässern sowie auf Hoher See in großem Stil industriell ausgebaut.
Dabei spielten zwei Institutionen eine entscheidende Rolle:
- das „Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für die Uhren-Industrie“, das „НИИ ЧАСПРОМ“
(НАУЧНО ИССЛЕДОВАТЕЛЬСКИМ ИНСТИТУТОМ ЧАСОВОЙ ПРОМЫШЛЕННОСТИ), und - die „1. Moskauer Uhrenfabrik - benannt nach S.M. Kirow“, die „1 МЧЗ“
(1-й МОСКОВСКТЙ ЧАСОВОЙ ЗАВОД им. С.М. КИРОВА)
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten lagen beim „НИИ ЧАСПРОМ“, die Massenproduktion bei der „1 МЧЗ“.
„6 MX“
Für die Marine-Chronometer lagen die Anfänge des МОРСКОЙ ХРОНОМЕТР 6 МХ, dem vieltausendfachen Nachbau des Deutschen Einheits-Chronometers (DEC), in
- Reparationen von A. Lange & Söhne (Anhang: ALS-Reparationen),
- 600 Rohwerken des DEC aus den Beständen der Deutschen Seewarte in Gesundbrunnen bei Dresden,
- der Übernahme der Zeichnungs-Sätze von Gerhard D. Wempe (Anhang: Wempe: DEC-Zeichnungen),
- bei russischen Uhrmachern, die von 1942 bis 1945 als Kriegsgefangene bei Wempe in Hamburg beim Bau des DEC mitgearbeitet haben.
Diese Anfänge beschreibe ich in „Geburt des 6 MX“.
Details zum 6 MX und dessen Weiterentwicklung in der Zeit von 1952 bis 1997 beschreibe ich in „Leben des 6 MX“.
Neben dem klassischen 3-Pfeiler-Werk hat das „НИИ ЧАСПРОМ“ an weiteren Chronometern gearbeitet.
In einer Abhandlung von V.A. Sholyanskii und B.M. Chernyagin zu den russischen Forschungsarbeiten heißt es:
„The NII Chasprom (Scientific Research Institute of the Watch-Making Industry) has developed, with the participation of the authors of this article, transistorized balance, tuning fork, and quartz-crystal chronometers whose production has either been started or is in the course of preparation. “
Ob das „НИИ ЧАСПРОМ“ an einem „Stimmgabel-Chronometer“ nur experimentiert hat oder ob es davon Prototypen gibt, ist mir nicht bekannt.
Das Wissen um die Technik des „tuning fork“ lag jedenfalls in Moskau vor, denn die 2. Moskauer Uhrenfabrik hat in den 1960er Jahren in Lizenz die erste Stimmgabel-Uhr von Bulova, die „Accutron“ (Bulova 2140), nachgebaut.
„9 MX“
In der ersten Hälfte der 1960er Jahre hat das „НИИ ЧАСПРОМ“ – ähnlich wie andere Chronometermacher weltweit – versucht, aus dem rein mechanischen „6 MX“ ein elektromechanisches Chronometer zu bauen. Die Arbeiten an diesem Chronometer, das die Bezeichnung „9 MX“ erhielt, sind aber nicht über das Experimentier-Stadium mit wenigen Prototypen hinausgekommen. Es ist in einem Faltblatt von Poljot beschrieben:
Mark Gordon zeigt auf seiner Homepage sein „9 MX_067“ mit einem stilisierten Transistor an der Stelle des Zifferblattes, wo beim 6 MX die Federspannung angezeigt wird, mit vielen Detailbildern (www.ussrtime.com, Nr. 1441).
„2 МЗХ - НИИ ЧАСПРОМ“ - 8-Tage Anker-Chronometer
Das „2 МЗХ“ ist, wie das „9 MX“ und das „6 MX“ sowie neun weitere Spezial-Uhren, in dem schon erwähnten Faltblatt von Poljot kurz beschrieben:
Bei W.A. Schpoljanski / A.M.Kuritzki wird das 8-Tage Anker-Chronometer beschrieben als:
„МАЛОГАБАРИТНЫЙ ХРОНОМЕР 2МЗХ НИИЧаспрома“
Also: „Chronometer mit kleinem Außenmaß 2МЗХ des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für die Uhren-Industrie“.
Die beiden Autoren beschreiben und bebildern im Detail das Remontoir dieses Chronometers.
ШПОЛЯНСКИЙ В.А., КУРИЦКИЙ А.М.:
«СПУСКОВЫЕ РЕГУЛЯТОРЫПРИБОРОВ ВРЕМЕНИ» (Moskau 1963, S. 213 ff)
In der Deutschsprachigen Literatur hat Steffen Röhner sich mit dem „2 МЗХ“ befasst. So hat er hat im Uhren-Journal, 3/1992, eine ausgiebige Langfassung und in seinem Buch: „Militär-Taschenuhren“ eine Kurzfassung des „2 МЗХ_0034“ (4-63) veröffentlicht.
Mark Gordon hat sein „2 МЗХ_001“ aus dem 3. Quartal 1961 (3-61) auf seiner Homepage (www.ussrtime.com, Nr. 1331) im Detail abgebildet.
Er schreibt dazu u.a.:
„1st Moscow Watch Factory production records indicate that serial production of this unusual movement only gegan in the 1st quarter of1963 and that before this date only >experimental< batches were produced. This movement, signed No. 001, was made approximately 18 months before serial production commenced, in the 3rd quarter of 1961. It exhibits some interesting differences that indicates this piece was likely produced as the first working prototype of this caliber. “
Mein „2 МЗХ_017“stammt aus dem 4. Quartal 1962 (4-62).
Ob der hölzerne Kasten meins „2 МЗХ_0017“ für eine spezielle Anwendung gebaut oder nachträglich hergestellt wurde, ist mir nicht bekannt.
„2 МЗХ_0037“
Ein befreundeter Sammler von Chronometern hat mir Bilder zu seinem „2 МЗХ_0037“ aus 2-64 zur Verfügung gestellt.
„2 МЗХ_0069“
Das Auktionshaus Dr. Crott hat mir Bilder zu dem „2 МЗХ_0069“ aus 2-64 zur Verfügung gestellt.
Von dem „2 МЗХ“ sind etwa 100 Stück gebaut worden. Über das Einsatzgebiet dieses Chronometers ist viel spekuliert worden. Ich weiß es nicht und da ich keinen kenne, der das „2 МЗХ“ im Einsatz gesehen hat, beteilige ich mich nicht an dieser Spekulation.
Eine der Besonderheiten bei diesem Chronometer ist das Remontoire, das wohl schon 1761 von Harrison konstruiert worden ist.
Man sagt, das das „2 МЗХ“ das erste und das letzte russische Chronometer im 20. Jahrhundert gewesen sei, das diese Technologie nutzte.
Ich zähle auch die Schalt-Chronometer zum Takten der Funkfeuer zu den Chronometern, denn nach dem internationalen Abkommen von Paris, Juli 1933, und Stockholm, Oktober 1933, wurde für die exakte Einhaltung des Sendeplans der Funkfeuer ein Chronometer gefordert.
Die Firma Julius Pintsch hat ein solches entwickelt und die 2. Moskauer Uhrenfabrik hat es nach dem Krieg als „КОНТАКТНО ПУСКОВЫХ ЧАСОВ“ (К.П.Ч.) - Kontakt-Geber-Uhr (Uhr zur Inbetriebsetzung von Kontakten) - in ihr Programm für Spezial-Uhren aufgenommen.
Das „К.П.Ч.“ hatte ebenfalls ein Remontoire.
In dem Unter-Kapitel: Funkfeuer-Uhren gehe ich näher darauf ein zu zeige den Ablauf eines Remontoires mit einem kurzen Film.
„АКУ“ -- Quarz-Chronometer
Neben der „DEC- / 6 MX-Reihe“ und dem „2 МЗХ“ gibt es mit dem Quarz-Chronometer „АКУ 2 817 000“ ein weiteres Marine-Chronometer aus der Ideenschmiede der Experten vom „НИИ ЧАСПРОМ“.:
Ich habe eingangs mit dem Zitat von V.A. Sholyanskii und B.M. Chernyagin bereits darauf hingewiesen (gekürzt):
„The NII Chasprom has developed, quartz-crystal chronometers whose production has either been started or is in the course of preparation.“
Ende der 1980er Jahre hatte das „НИИ ЧАСПРОМ“ die ersten russischen Quarz-Chronometer einsatzbereit.
In Deutschland ist die Firma: „Nautische Instrumente Mühle Glashütte/Sa.“ führend bei der Ausrüstung von Schiffen mit Zeit-Messgeräten aller Art.
Als ich dem Senior, Hans-Jürgen Mühle, im Jahr 2008 sagte, dass ich ein russisches Quarz-Chronometer in meiner Sammlung habe, antwortete er mir:
„Das kenne ich. Vor ein paar Jahren waren russische Schiffsausrüster bei mir und zeigten mir ein solches Chronometer. Ich durfte es aber weder anfassen noch fotografieren.“
Und als ich ihm meines beschrieben habe, sagte er, dass das, was er gesehen habe, anders sei: nämlich in einem runden Gehäuse mit einer Beschriftung „НИИ“ auf dem Zifferblatt.
Olga, meine Ansprechpartnerin bei Poljot, sagte mir auf Nachfrage, dass das „НИИ ЧАСПРОМ“ das russische Quarz-Chronometer entwickelt habe und Poljot dieses in Serie bauen wollte. Durch die politische Wende und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten habe sich die Lage jedoch so verändert, dass Poljot entschieden habe, mit diesem Chronometer nicht mehr in Serie zu gehen. Poljot habe nur einen einzigen Prototyp gebaut.
Den Charakter eines Prototyp meines „АКУ 2 817 000“ erkennt man schnell – an dem externen Trafo mit den Kabelverbindungen und den einfachen Metallgehäusen.
Ich habe mein Quarz-Chronometer mit der Steckdose verbunden und der Sekunden-Zeiger setzte sich sofort in Bewegung.
Für die Navigation auf Hoher See war das Chronometer zweifelsfrei das wichtigste Zeit-Messgerät zur Bestimmung des Längengrades. Aber es war nicht das Einzige, um ein maritimes Ziel zu erreichen.
Bei den B-Uhren (deck watch) wurde der Lizenzbau von Ulysse-Nardin in eigenen Werkshallen fortgesetzt.
Wand-Uhren für Schiffe (naval clock) wurden auf der Grundlage der Produktion vor dem Krieg weiterentwickelt.
Der Bau von Steuerungs-Uhren für Funkfeuer war das Ergebnis von Reparationen der Fa. Pintsch in Fürstenwalde bei Berlin.
Bei Navigationsinstrumenten wie den Sextanten waren die Instrumente der Fa. Plath in Hamburg das Vorbild.
Eine eigenständige russische Entwicklung von Präzisionsuhren für die Navigation auf Hoher See und in küstennahen Gewässern hat es - abgesehen von den Prototypen des „НИИ ЧАСПРОМ“ - nicht gegeben.
Ich werde das Unter-Kapitel: 1945 bis 2000 nach den genannten Stichworten abhandeln.
Im weiteren Sinne sind auch die komplexen Mechanismen von großen Unterwasser-Fotoapparaten ein Uhrwerk. In der Sowjetunion sind von diesen Geräten eine größere Anzahl gebaut worden und es gibt eine eigenständige Sammlergemeinschaft für russische Fotoapparate aller Art.
Ich stelle als Randgebiet zu „Schiffe und Uhren“ das „СФК - 7 -II, N 303“ exemplarisch als eines dieser Geräte vor: