Russische Uhren
Zarenzeit
Peter I. hat 1688/1695 die russische Flotte begründet. Damit entstand auch für die russischen Seeleute der Bedarf, auf offener See zu navigieren.
Konstantin Chaykin schreibt in "Das Uhrmacherwesen in Russland – Meister und Bewahrer" über die russischen Uhrmacher im 17. Jahrhundert:
"Die Uhrmacher schufen ihre Meisterwerke als Einzelstücke und bauten diese später nicht mehr nach. Richtige Werkstätten gab es zur damaligen Zeit nicht. Sie entstanden erst im 18. Jahrhundert zu Regierungszeiten des russischen Zaren Peter des Großen in der Akademie der Wissenschaften und in der Admiralität. Die Epoche Peters des Großen wurde insgesamt zur Blütezeit der russischen Uhrmacherei ...
Peter der Große beherrschte selbst einigermaßen das Uhrmacherhandwerk und stelle sogar selbstständig Uhren her. Es ist bekannt, dass er während seines Aufenthalts in Amsterdam eine Uhr zum Verschenken anfertigte."
Bemerkenswert erscheint mir, dass auch Valentin L. Chenakal den Zaren Peter I. zu den "Watch and Clockmakers in Russia – 1400 to 1850" zählt. Er schreibt dazu:
"PETER I. , b. 30 May 1672 in Moscow, d. 28 Jan. 1725, St. Petersburg. Russian Emperor. Deeply interested in the precise science, in particular gnonomics (dialling). At some time before 1709 wrote a treatise on the construction of sundials which was published in Moscow in 1709 in the second edition of Primery tsirkulya i lineiki (Exercises in the use of compass and rule). The third edition was published in 1725 in St. Petersburg."
Das klingt etwas bescheidener als das, was Konstantin Chaykin über Peter I. schreibt. Wie auch immer: "Deeply interested" und: Das Uhrmacherhandwerk einigermaßen zu beherrschen reicht aber nicht, um das Längen-Problem beim Navigieren auf hoher See, das zu den Zeiten von Peter I. lange bekannt war, zu lösen.
Dazu hat das britische Parlament hat am 8. Juli 1714 den "Longitude Act" erlassen. John Harrison erprobte 1735 seine "H 1". Seine "H 4" hat er 1759 fertiggestellt. Damit war das Zeitalter der See-Chronometer eingeläutet.
Mit der von Peter I. initiierten Gründung der "Akademie der Wissenschaften und unterschiedlichen Künste" legte der Zar auch wesentliche Grundlagen für russische Chronometer-Macher.
Einer der ersten Professoren an der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften, der sich mit Uhren beschäftigte und darüber die ersten Lehrbücher veröffentlichte, war Johan Georg Leutmann. Er wurde am 30. November 1667 in Wittenberg (Sachsen) geboren und lebte vom 25. April 1726 bis zu seinem Tod am 5. März 1736 in St. Petersburg.
(Siehe zu Leutmann und zu Lomonossow: "Die Vor-Geschichte / Die Dritte Phase")
Michail Wassilowitsch Lomonossow hat nach seinen Studienjahren in Deutschland (in Marburg und in Freiberg) 1741 seine akademische Ausbildung in St. Petersburg beendet. 1745 wurde er Professor an der Akademie der Wissenschaften und 1760 ihr Direktor.
Lomonossow war der erste Russe, der - unabhängig von den Arbeiten in England - in Theorie und Praxis an einem See-Chronometer forschte.
Dazu schreibt Chenakal:
"LOMONOSSOV, Mikhail Vasile´vich, b. 19 Nov. 1711 in the village of Mishaninskaya near the White Sea, d. 15 Apr. 1765, St. Petersburg.
Eminent Russian scientist, from 1742 scientific assistant, from 1745 Professor of chemistry at the St. Petersburg Academy of Science. In the period 1754-9 while working on problems of navigation proposed an original design for a marine chronometer driven by four springs and also designed a self-recording compass with a tape-winding device based on a clock movement.
Meditationes de vi navis in mari certius de terminanda ... (St. Petersburg, 1759)."
Konstantin Chaykin widmet Lomonossow ein eigenes Kapitel, in dem er auch das Chronometer mit vier Federhäusern beschreibt und die Zeichnung von M. Lomonossow abbildet, mit der der Wissenschaftler die Fehlerquelle, die "von ungleichen Federkräften und weiteren Teilen" stammen, ausschalten wollte.
Auch wenn Lomonossow keine praktisch verwertbaren Ergebnisse für die Navigation auf hoher See lieferte, so hat er doch über die Akademie der Wissenschaft in St. Petersburg viele weiterführende Impulse für das Chronometerwesen in Russland gegeben.
Jean Fazy
Der erste mir bekannte Chronometermacher im Zarenreich war Jean Fazy, ein Uhrmacher aus Genf. (Nicht zu verwechseln mit Mark Fazy, der ebenfalls aus Genf kommend auch dem Ruf von Katarina II. folgte und in Moskau arbeitete)
Chenakal schreibt über Jean:
"Fazy, Jean, b. 1734, Geneva, d. 1811, Moscow
Left Geneva in his youth, lived in Paris, Stokholm, Moscow, St. Petersburg, and than again in Moscow.
In his St Petersburg period (mid 1760´s to 1795) was clockmaker at the court of Catherina II."
Über ein besonderes Chronometer von ihm schreibt Klaus Seide in seinem Band 1:
"Ein Standchronometer, signiert >Fazy – St. Petersburg< von 1769 hat ein verglastes, rundes Gehäuse mit kardanischer Aufhängung. Das dreiteilige Zifferblatt hat einen Stundenkreis, Gangreserveanzeige für 28 Stunden, Sekundenzeiger und springende Zentralsekunde mit Anzeige auf dem Außenring.
Frühe Konstruktion einer Chronometerhemmung mit Wippe und Goldfeder. Der auf der Unruhwelle montierte Arm löst das Hemmungsrad aus.
Der Antrieb erfolgt mittels Gewichtsaufzug. Die Gewichte laufen über Rollen innerhalb von drei Führungsstangen, und mittels Kurbelschlüssel hochgedreht.
Die gesamte Konstruktion ist auf einem Holzgestell mit justierbaren Beinen befestigt." (Seide, Bd. 1, S. 116f)
Dieses "Fazy" steht heute bei einem befreundeten Sammler besonderer Chronometer. Er hat mir dankenswerter Weise die folgenden Bilder für die Veröffentlichung auf dieser Homepage zur Verfügung gestellt.
Aufgrund ihrer Konstruktion ist dieses "Fazy" den Chronometern zuzuordnen. Aber ebenfalls konstruktionsbedingt ist es nicht geeignet gewesen, um auf hoher See zur Bestimmung des Längengrades eingesetzt zu werden.
Die "Fazy No. III", eine große Taschenuhr allerdings nur mit einer Art Cylinder- und Duplex-Hemmung, ist im Polytechnischen Museum in Moskau und in dem Buch: "Timepieces", S. 90/91, abgebildet. Sie kann als Vorläufer späterer russischer Decks-Uhren angesehen werden.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren russische Entdecker, Abenteurer und Polarforscher, die Geographen und auch die Marine für eine genaue Ortsbestimmung auf dem Längengrad auf importierte Schiffschronometer aus Westeuropa, insbesondre aus England, angewiesen.
Eine Zäsur in der zaristischen Chronometrie kam mit der Nikolai-Sternwarte. Die Sternwarte, das Astronomische Observatorium auf dem Pulkowo-Berg in der Nähe von St. Petersburg, wurde in der Zeit von 1833 bis 1839 errichtet.
Die Schreibweise von "ПУЛКОВО" ist nicht einheitlich. So nennt F.G.W. Struve die Stadt in seiner: "Description de L´Observatoire Astronomique Central de Poulkova" von 1845 (s.u.) eben: "Poulkova".
Dabei spielen das "У", das "В" und das unbetonte "О" am Ende des Wortes eine Rolle.
Das russische "У" ist wie das deutsche "U"
Das russische "В" entspricht dem deutschen "W" und wird auch wie ein "W" gesprochen. Es wird vielfach mit einem "V" geschrieben, da es in Lexika als Lautzeichen ein "v" hat.
Das unbetonte russische "О" wird wie ein "A" gesprochen.
Struve hat also die Stadt, in der sein Observatorium stand, so geschrieben, wie er sie ausgesprochen hat.
Ich nenne die Stadt: Polkowo.
Ähnlich wie Peter I. und Katharina II. hat auch Zar Nikolai I. Pawlowitsch einhundert Jahre nach Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften mit dem nach ihm benannten Observatorium neue Akzente in der russischen Chronometrie gesetzt und St. Petersburg für Russland zum "Null-Punkt" der Längen-Grade gemacht.
Über Jahrhunderte hatten einzelne Nationalstaaten ihren eigenen Bezugspunkt für die Bestimmung des Längengrades.
Mit dem Astronomischen Observatorium wurde der Pulkowo-Berg für alle Russen zum "St. Petersburger Nullmeridian". Er stand in Konkurrenz zum "Ferro-Meridian".
Um 100 n.Chr. war die Insel "Ferro" auf den Kanaren der westlichste Punkt der bekannten Welt. Damals legte Marinos von Tyros den Längengrad durch Ferro als Null-Meridian fest. Er war die entscheidende Bezugsgröße bis zur Internationalen Meridian-Konferenz in Washington am 13. Oktober 1884. Dort wurde der "Greenwich-Meridian", der durch die Sternwarte von Greenwich verläuft, als neuer Bezugspunkt festgelegt.
Der Ferro-Meridian war noch zu Beginn des 20sten Jahrhunderts die Grundlage für alle Landkarten – so beispielsweise auch für den Kupferstich von Reilly, den er 1789 von "Neurussland" gemacht hat (Vorspann zu dem Kapitel: Schiffs-Uhren)
Friedrich Georg Wilhelm von Struve hatte als erster Direktor des Astronomischen Observatoriums entscheidenden Einfluss auf die Chronometrie und die Navigation im zaristischen Russland.
Wilhelm von Stuve wurde am 15. April 1793 in Altona bei Hamburg, das damals noch zu Dänemark gehörte, geboren. Er studierte in Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland, und wurde 1820 Professor und Direktor der Universitäts-Sternwarte in Dorpat. 1839 wurde er als Gründungs-Direktor an die Nicolai-Sternwarte berufen. Nach seiner Pensionierung im Jahr 1862 hat sein Sohn Otto von Struve die Arbeit seines Vaters fortgesetzt.
Zu den herausragenden Leistungen von Wilhelm von Struve gehörten die Entwicklung der theoretischen Grundlagen und die praktische Durchführung von geographischen Vermessungen auf den Breiten- und den Längen-Graden.
Um diese Arbeit leisten zu können, brauchte Struve sehr gut Chronometer. Die "Familie der Chronometer-Macher" im damaligen St. Petersburg war aber gerade erst im Aufbau.
Zu ihr gehörten dann insbesondere:
- Friedrich F. Hauth, der von 1828 bis 1849 am Newski-Prospekt in St. Petersburg ein Uhrengeschäft und eine Werkstatt hatte. Hauth baute astronomische Uhren und Chronometer. Einige seiner Chronometer waren bei der Vermessung der Längengrade von Altona und der Nikolai-Sternwarte im Einsatz.
- Bernhard W. Pihl, der 1832 aus Finnland nach St. Petersburg kam. Er wurde nach seiner Ausbildung bei F. Hauth und John Dent in London (1843 - 1847) Chronometer-Meister am Pulkowoer Observatorium. B. Pihl war Handelsagent von Dent und später auch von Kullberg in Russland
- Victor Pihl wurde nach dem Tode seines Bruders Bernhard (1860) Chronometer-Meister am Observatorium. Er übernahm die Handelsagenturen für Dent und Kullberg
Die Gebrüder Pihl haben vor allem Chronometer und B-Uhren mit Roh-Werken aus England gebaut.
- Johan Wirén, 1835 bei Helsingfors, Finnland, geboren, wurde 1863 Schüler bei Victor Pihl. Nach dessen Tod im Jahre 1873 wurde er Chronometer-Meister in Pulkowo
- August Ericsson, 1842 in Kristeneham, Schweden, geboren, kam 1865, nach seiner Uhrmacherlehre in Schweden, nach St. Petersburg. Er übernahm 1873 nach dem Tod von Victor Pihl dessen Werkstatt mit ihren Einrichtungen. 1885 wurde er Chronometer-Meister und 1889 Direktor in Pulkowo. Er verstarb 1915 in St. Petersburg.
- Alexander Ericsson, als Sohn von August E. 1872 in St. Petersburg geboren, wurde 1908 Chronometer-Meister in Pulkowo.
Über die allgemeine Situation der russischen Uhrmacherkunst und über die der Marine-Chronometer im zu Ende gehenden 19ten Jahrhundert schreibt Konstantin Chaykin im Kapitel 1 seines Buches "Das Uhrmacherwesen in Russland – Meister und Bewahrer":
"... So wurde im Expertenbericht der allrussischen Ausstellung der Kunstproduktion im Jahre 1882 in Moskau vermerkt, dass die >Uhrmacherkunst und ihre meistverbreiteten Produkte< einen Niedergang erlitten. Im selben Dokument wird jedoch erwähnt, dass im Bereich der >Einführung von komplizierten Mechanismen (wie des Marinechronometers) ein wunderbarer Erfolg< zu verzeichnen war; und dies ist sicherlich nicht ohne erfahrene und seltene Meister möglich gewesen."
Dann nennt Chaykin die Ursachen für das Scheitern des Uhrmacherhandwerks in Russland zu Anfang des 20. Jahrhunderts, um dann einen Absatz weiter hinzuzufügen:
"Nur in der Herstellung von Marinechronometern blieb Russland von ausländischen Betrieben unabhängig. Die Uhrmacher erhielten Unterstützung vom Pulkowo-Observatorium und vom Marineministerium des Russischen Kaiserreichs."
Friedrich Hauth, Bernhard und Victor Pihl, Johan Wirèn und August und Alexander Ericsson waren die wichtigsten Chronometermacher im Observatorium Pulkowo bei St. Petersburg. Sie waren jedoch nicht unabhängig von ausländischen Betrieben.
In der Zarenzeit haben die in Russland tätigen Chronometermacher ihre Werke, die Gehäuse und die Zifferblätter vornehmlich aus England von Kullberg, Dent und Preston bezogen. Größere Stückzahlen kamen etwa ab 1900 auch von Ulysse Nardin und einzelne Uhren von Patek Philippe.
Welches der Kullberg-Werke in den Chronometern aus Pulkowo tickt, ist anhand der Daten aus "Chronometer Makers oft he World" von Tony Mercer nachvollziehbar.
Ausgehend von Mercer habe ich in dem Anhang: "Werks-Systematik" knapp 1.000 Chronometer, die Kullberg nach Russland geliefert hat, einzelnen Chronometermachern in Pulkowo nummerisch zugeordnet.
Johan Wirén
Über Johan Wirén hat Prof. Dr. Herbert Dittrich umfangreiche Recherchen angestellt und mir sein Manuskript zur Verfügung gestellt. Das Wirken von Wirén als Chronometermacher in Pulkowa soll exemplarisch für andere Chronometermacher dargestellt werden:
"Wirén, Johan, geboren 1835 nahe Helsingfors, gestorben 1885 in St.Petersburg, wo er auch lebte und arbeitete. Seine Eltern waren Bauern und lebten in der Nähe von Helsingfors, Finnland. Er wanderte aus, zunächst nach Schweden und später nach St. Petersburg in Russland. Dort lernte er seinen Beruf als Uhrmacher und heiratete 1874 Frau Emma Engel. Sie war die Tochter eines deutschstämmigen Uhrmachers. Mit ihr hatte er 4 Kinder.
Seine bekannten Uhren sind Deckuhren und Marine-Chronometer.
Korrespondierende übereinstimmende Angaben verschiedener Quellen, so wie Datierungen von hergestellten Uhren, lassen den Schluss zu, dass Wirén seit 1863 bei Victor Pihl - wahrscheinlich bis zu dessen Tod 1873 - arbeitete. Daher auch die Orientierung auf die Kullberg´schen Chronometer-Rohwerke, da Victor Pihl Handelsagent von Kullberg für Russland war und Wirén während seiner Tätigkeit bei Victor Pihl in erster Linie für ihn diese Rohwerke finisierte und ebenso für sich selbst die wenigen Werke in gleicher Weise fertig stellte.
1873 wurde Wirén Chronometermeister am Observatorium Pulkowo. Das kann bedeuten, dass er nach Victor Pihl´s Tod dort sein Nachfolger wurde.
Von August Ericsson weiß man, dass er aus Schweden kommend, seit 1865 in St. Petersburg als Uhrmacher tätig war. Es heißt, dass er mit Wirén bei Pihl tätig war bzw. mit ihnen zusammenarbeitete. Da alle 3 Skandinavier waren und sich im "Chronometermachen" übten, ist auch ihre Zusammenarbeit wahrscheinlich. Übereinstimmend wird berichtet, dass Ericsson 1873 aus der Werkstatt des Victor Pihl Maschinen und Werkzeuge kaufte. Danach sollen wiederum (oder weiterhin) Ericsson und Wirén zusammengearbeitet haben. 1875 wurde auch Ericsson Chronometermeister in Pulkowo (was Wirén schon seit 1873 war), und 1889 wurde Ericsson zum Direktor des Observatorium Pulkowo ernannt. Das bedeutet, dass auch Wirén bis zu seinem Tode 1885 noch am gleichen Observatorium mit Ericsson gemeinsam Chronometermeister war.
Um für ihre Nebentätigkeiten als selbstständige Chronometermacher noch arbeiten zu können, musste für beide genügend Zeit vorhanden gewesen sein. Es ist wahrscheinlich, dass ihre Arbeitsverträge diese Arbeitsmöglichkeiten in eigener Werkstatt ausdrücklich vorsahen.
Beide – Wirén und Ericsson – dürften durch Victor Pihl gleich gute Verbindungen nach England zu den Kullberg- und Prescot-Werkstätten gehabt haben, denn beide bezogen ihre Rohwerke von dort."
Dann listet Prof. Dittrich die Chronometer, die Wirèn von Kullberg bezogen hat, auf. Und er fährt fort:
"Nach den jährlichen Zahlen der Chronometerfertigung muss man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass er diese Chronometer allein herstellte, nachdem er in kleinen Serien die Chronometerrohwerke bestellte. Das findet man leicht heraus, wenn man die zugehörigen Rohwerknummern fortlaufend auflistet. Dann erkennt man, welche zusammenhängenden Nummern einer Serie und welche einzelnen Stücke er bestellt und so auch geliefert bekam. So waren es in den ersten zwei Jahren nur Einzelstücke, 1872 aber schon eine kleine Serie mit den Nummern der Rohwerke 2403, 2404, 2405, die sich in den folgenden Jahren zahlenmäßig in gleichen Sequenzen häufiger wieder finden. Daraus erkennt man weiter, dass er neben den Einzelstücken immer nur kleine Serien von drei Rohwerken bestellte. Auch das spricht für seine kleine handwerkliche "Einmann" Chronometermanufaktur. Er konnte immer nur so viel bestellen, wie er auch zusammen verkaufen konnte. Drei Stück (1/4 Dutzend) war eine gebräuchliche Kleinmenge im Handel – gerade bei so hochwertigen Instrumenten. Das alles spricht auch für seinen Fleiß und seine Beständigkeit in seiner gesamten Schaffensperiode bis zu seinem Tod."
(Prof. Dittrich: unveröffentlichtes Wirèn-Manuskript)
Auf die "Einmann Chronometermanufaktur" und die Leistungen der russischen Chronometermacher gehe ich in dem Unter-Kapitel: "Werks-Systematik" ein.
Johan Wirèn hat die ersten dokumentierten Chronometer im Jahr 1870 von Kullberg bezogen. Die höchste bekannte Nummer ist die "Wirèn 173" mit dem Kullberg-Werk 4611 aus dem Jahr 1884.
Kullberg hat 1850 die ersten Chronometer-Werke gebaut. Der uhrmacherischen Entwicklung der Zeit folgend hat Kullberg seine Werke dem Stand der Technik angepasst und acht verschiedene Basis-Kaliber – "K 1" bis "K 8" - in seinem Programm gehabt.
Ich habe alle Chronometer, die Wirèn von Kullberg bezogen hat, anhand der Auflistung von Tony Mercer in "Chronometer Makers oft he World" in dem Unter-Kapitel: "Werks-Systematik" zusammengestellt. Danach hat Wirèn in den Jahren 1870 bis 1884 drei unterschiedliche Basis-Kaliber von Kullberg bezogen: "K 2", "K 3", "K 4".
Die "Wirèn" sind, wie alle russischen Chronometer mit Werken von Kullberg, gut "durchnummeriert". Auf dem Zifferblatt steht der Name des Chronometermachers aus Pulkowo und die Brücken und Kloben des Werkes, die Unterseite des Zifferblatts und das Messinggehäuse tragen die jeweilige Kullberg-Nummer.
Das "Wirèn No 34" mit der Kullberg-Nr. 2476 aus dem Jahr 1872 hat das "K 2" als Basis-Kaliber.
Das "Wirén No 59" trägt auf den Brücken und Kloben des Werkes, der Unterseite des Zifferblatts und im Messinggehäuse die Kullberg-Nr. 3140. Das "Wirèn 59 / Kullberg 3140" aus dem Jahr 1875 hat das Basis-Kaliber "K 3".
Auf dem Zifferblatt steht neben der Signatur, "J. Wirén, Petersburg", die Wirén-Nummer "No 59".
Der dreiteilige Mahagoni-Gehäusekasten trägt unter dem Schlüssel auf einer verschraubten runden Elfenbeinplatte die Gehäuse-Nummer "No 28". Auf einer zweiten Elfenbeinplatte, auf dem Mittelteil verschraubt, steht "Wirén". Auf der Oberseite des Deckels ist eine Messingplatte eingelassen, die offensichtlich für ein Wappen oder eine Signatur vorgesehen war. Ferner steht dort, in dicker Goldfarbe aufgebracht, die Kennung "A. 154" – wahrscheinlich die Schiffseinheit, auf der das Chronometer im Einsatz war.
Im Polytechnischen Museum in Moskau sind drei weitere Chronometer von Wirèn zu sehen:
- das "Wirèn 55 / Kullberg 3135" mit dem Basis-Kaliber "K 3" ("Polytechnical Museum, Moscow: Timepieces by master craftsmen", Seite 85)
- das "Wirèn 73 / Kullberg 3595" mit dem Basis-Kaliber "K 4" ("Polytechnical Museum, Moscow: Timepieces by master craftsmen", Seite 84)
- das "Wirèn 138 / Kullberg 4038" mit dem Basis-Kaliber "K 4" ("Polytechnical Museum, Moscow: Timepieces by master craftsmen", Seite 86)
August und Alexander Ericsson
August und Alexander Ericsson haben nach "Chronometer Makers of the World" in der Zeit von 1878 bis 1916 alleine von Kullberg 793 Chronometer-Rohwerke bezogen. Die Zahl der insgesamt von den Ericssons gefertigten Chronometer und B-Uhren dürfte doppelt so hoch sein.
Ausgehend von Tony Mercer hat August Ericsson im Jahr 1878 die ersten Chronometer gebaut. Die Rohwerke hatten das Basis-Kaliber "K 4" von Kullberg.
Ab 1889 hat er dann das Basis-Kaliber "K 5" von Kullberg bezogen.
Das "Ericsson 189" aus dem Jahr 1895 hat die Kullberg-Nr. 6232. Es gehört zu den Rohwerken von Kullberg, denen Mercer keine Ericsson-Nr. zugeordnet hat.
Das Chronometer war in einem dreiteiligen Holzkasten ohne kardanische Aufhängung, da es für astronomische und geodätische Zwecke eingesetzt war.
Ab 1896 hat Kullberg dann das Basis-Kaliber "K 6" an Ericsson geliefert.
Dazu gehört das "Ericsson 1431" aus dem Jahr 1908. Dieses Chronometer gehört zu denen, die bei Mercer nur eine Ericsson-Nr. aber keine Nummer von Kullberg haben. Man muss also das Werk aus dem Gehäusetopf nehmen, um erkennen zu können, welches Rohwerk unter dem Zifferblatt tickt. Hier ist es das "Kullberg 8081".
Das Gleiche gilt auch für das "Ericsson 1467" aus dem Jahr 1910, dem Mercer auch keine Kullberg-Nr. zugeordnet hat. In ihm tickt das "Kullberg 8308".
Von 1911 an bis zum Ende der Ericsson-Ära in Pulkowo im Jahre 1916 hat Kullberg das Basis-Kaliber "K 7" nach St. Petersburg geliefert.
Taschen-Chronometer von Ericsson
Ericsson hat für die mit seinem Namen signierten Taschen-Chronometer auf alle Hersteller seiner Zeit zurückgegriffen. Die Quantität dürfte etwa der seiner Chronometer entsprechen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Werke ist so groß, dass hier nur ein kleiner Einblick gegeben werden kann.
Ob Ericsson "seine" Taschen-Chronometer komplett fertig bezogen hat oder ob er - wie bei den Chronometern unterstellt – diese "fix und fertig" gemacht hat, bleibt weiterer Forschungsarbeit vorbehalten. (Siehe dazu das unten gezeigte: "Ericsson_170 568" von Patek Philippe)
Ein ganz besonderes Taschen-Chronometer alter Bauart - und das einzige dieser Art, das mir bekannt ist - ist das "Ericsson No 4". Es hat ein Rohwerk von Preston in Prescot. Die Hallmark "D" im 925er Sterlingsilber-Gehäuse zeigt das Herstellungsjahr 1879/80. Damit stammt es aus den ersten Jahren der Aktivität von Ericsson in Pulkowo.
Bei Mercer ist erkennbar, dass Ericsson in den Jahren 1879 bis 1883 keine Chronometer-Rohwerke von Kullberg bezogen hat. Es bleibt weiterer Forschung vorbehalten, ob August Ericsson sich in diesen Jahren auf Taschen-Chronometer konzentriert hat.
Bis zur Jahrhundertwende kamen die Rohwerke dann vornehmlich von Kullberg. Aber bereits Ende der 19ten Jahrhunderts hat Ulysse Nardin auch für Ericsson Rohwerke mit unterschiedlichen Kalibern für Taschen-Chronometer geliefert.
Ich stelle im Folgenden vier verschiedene Kalibertypen von Ulysse-Nardin für Ericsson vor. Mir fehlen die Unterlagen, um die einzelnen Typen historisch einordnen zu können. Deswegen nummeriere ich sie von 1. bis 4. durch.
Ericsson Taschen-Chronometer mit Feder-Hemmung, Ulysse-Nardin, Typ 1:
Ericsson Taschen-Chronometer mit Feder-Hemmung, Ulysse-Nardin, Typ 2:
Ericsson Taschen-Chronometer mit Feder-Hemmung, Ulysse-Nardin, Typ 3:
Ericsson Taschen-Chronometer mit Feder-Hemmung, Ulysse-Nardin, Typ 4:
Ein für Ericsson signiertes Taschen-Chronometer besonderer Art ist das "No 170568 von Patek Philippe &Cie. Es ist in dem Original-Gehäuse von Patek Philippe und die französische Schreibweise der Stadt an der Newa, nämlich "St. Petersbourg" lässt den eindeutigen Schluss zu, dass Patek Philippe diese Uhr in dem vorliegenden Zustand geliefert hat.
Wand-Uhren für Schiffe
Auch zur Zarenzeit hatte der Kapitän eines Schiffes in seiner Kajüte eine Wand-Uhr. Leonid, mein Uhrenfreund aus Moskau, hat mir Bilder von zwei Wanduhren aus dem Moskauer Handelshaus "БР ЧЕТУНОВЫ" (BR Tschetunow) zur Verfügung gestellt.
Danksagung
Für dieses Kapitel brauchte ich viel Unterstützung von befreundeten Sammlern und vom Auktionshaus Crott.
Ich danke allen, die mir dabei geholfen haben, Sammlern und Liebhabern einen Einblick in die Zaristische Chronometrie zu geben.
Steffi und Stefan Muser, die Geschäftsführer des Auktionshauses Crott, haben sich viel Zeit genommen, um mir aus ihren Auktions-Katalogen Fotos russischer Uhrmacher aus der Zarenzeit zur Verfügung zu stellen. Es sind:
- Hauth_43,
- Pihl_62,
- Ericsson_1431,
- Ericsson_380,
- Ericsson_453,
- Ericsson_1171,
- Ericsson_1355,
- Patek Philippe_170 568.
Andreas Hidding, Klassische & Antike Uhren, hat mir die Bilder zum "Ericsson_189" zur Verfügung gestellt.
Die Bilder zum "Fazy" und zum "Wirèn_34" stammen von befreundeten Uhrensammlern.
Das Bild "Wiren_73" habe ich dem Buch: "Timepieces by master craftsmen and manufactures oft he 18th - early 20th century Russia - of collection oft the Polytechnical Museum", S. 84, entnommen.